Die Hitzkammer
Schwelle getreten, spürte er, dass Unheil in der Luft lag. Marthes Stimme war zu hören, fragend und aufgeregt, und eine andere, mit der er zunächst nichts anzufangen wusste. Dann erkannte er sie. Es war Gorm, der da sprach, Taufliebs Hilfsmann. Er befand sich mit der Magd im Oberstock bei Freyja. Was hatte er da zu suchen?
Lapidius stellte den Eierkorb ab und eilte die Stufen empor. Oben angelangt sah er, dass Gorm drauf und dran war, die Klappentür zur Hitzkammer zu öffnen. Seine Hand hielt einen Schraubendreher, mit dem er den Schlossriegel schon nahezu entfernt hatte. »Halt!«, donnerte Lapidius. »Was hat das zu bedeuten?« Marthe eilte heran. »Herr, oh, Herr, ich wusst nicht, ob ichs Gorm erlauben sollt, aber er sacht, es is wichtich, un Meister Tauflieb hats auch gesacht, deshalb isser hier.«
»Was? Wie?« Lapidius’ Blick wanderte von Gorm zu Marthe und wieder zurück. Gorm hatte, das sah er erst jetzt, einen blutigen Kratzer auf der Wange. »Was hat das zu bedeuten?«, wiederholte er.
Gorm richtete sich auf und grinste einfältig. »Sollt Schrauben tauschen. Gorm sollt Schrauben tauschen.« »Warum das?«
»Nich lang genuch, die … sin nich lang genuch.«
»Wer sagt das?«
»Ich … öh, ja. Nich lang genuch, sacht der Meister.« Der Hilfsmann deutete auf das Werkzeug, als könne er damit die alten Schrauben größer machen. Dann lachte er unvermittelt auf.
Lapidius wich einen halben Schritt zurück. Gorm war ihm nicht geheuer. Der Mann hatte die Kraft eines Bären und das Hirn eines Spatzen. Er stand an der Schwelle zum Schwachsinn. Während er redete, blickte er immer wieder auf die Öffnung in der Türklappe.
Lapidius verstand. Wahrscheinlich hatte Gorm einen unschicklichen Blick auf Freyja werfen wollen und diese ihm dafür die Nägel durchs Gesicht gezogen. »Zeig mir die neuen Schrauben, die längeren.«
Gorms Mund ging auf und zu. »Öh … ich …«
Lapidius wusste jetzt genug. »Schraub den Riegel wieder fest!«, befahl er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. Sogleich gehorchte der Hilfsmann. Er verrichtete die Arbeit mit jener Geschicklichkeit, die bei Menschen schlichten Geistes nicht selten ist.
Marthe rang die Hände. »Ogottogott, ich wusst, ich hätt ihn nich ins Haus lassen solln. Nich wahr, Herr?«
»Schon gut, Marthe. Geh wieder nach unten.«
Lapidius hatte einen Einfall. Wenn Gorm wirklich so erpicht darauf war, Freyj a zu sehen, sollte er Gelegenheit dazu bekommen. Natürlich nur ihren Kopf, und auch den nur kurz. Auf die Reaktion des Hilfsmannes war er gespannt. Er holte den Schlüssel aus der Manteltasche und sperrte das Schloss auf. »Freyja«, sagte er, »ich denke, Gorm hat einen Grund, sich bei dir zu entschuldigen.«
Sie blickte ihn wortlos an. In ihren Augen stand Leere. Großer Gott!, dachte er. Was ist nur aus dieser Frau geworden! Ihr Gesicht erinnert mich an einen Bratapfel im Ofen. Die Haut zieht sich mehr und mehr zusammen. Sie verwelkt. Und der, dem sie das alles zu verdanken hat, bin ich. Aber es geht nicht anders. Wenn es eine bessere Behandlungsmethode gäbe, wäre ich der Erste, der sie nutzen würde.
Gorm hatte sich stumm vor den Türspalt gehockt. Sein Mund stand offen, ein Speichelfaden lief ihm über das Kinn, während in seinen Augen die unterschiedlichsten Gefühle zu Tage traten. Überraschung war darin zu lesen, dann Unverständnis, dann schiere Verzweiflung. Lapidius fragte sich, ob ein Geistesarmer solcher Empfindungen überhaupt fähig war, als er jählings einen unsanften Stoß erhielt. Der Hilfsmann hatte die Hände in die Luft gerissen und ihn dabei zur Seite geworfen. Aufspringend stieß er einen gutturalen Schrei aus und stürmte die Treppe hinunter. Einen Atemzug später krachte die Haustür hinter ihm zu.
Lapidius rappelte sich auf. Das Ganze war ihm wie ein Spuk vorgekommen.
Freyja flüsterte: »Ich hab ihm das Gesicht zerkratzt.«
»Es geschah ihm recht.« Lapidius fühlte plötzlich Unsicherheit. Er musste nachher mit Marthe sprechen. Sie durfte fortan niemanden mehr in seiner Abwesenheit einlassen. Aber das brauchte Freyja nicht zu wissen, es würde sie nur beunruhigen. »Ich nehme an, Gorm hat sich daran erinnert, wie … wie hübsch du bist, und in seinem schlichten Gemüt dachte er, er müsse nur irgendeine Arbeit vorschützen, um einen Blick auf dich werfen zu können.«
»Ich bin nicht mehr hübsch.«
»Du wirst es wieder sein. Nach der Kur.« Er prüfte ihren Puls und die Dicke der
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