Die Hitzkammer
mehrere Pflanzen standen da. Das war der Beweis: Die Zeuginnen besaßen das giftige, berauschende Gewächs. Sie hatten nur zum Schein bei Freyja gekauft! Und das bedeutete: In Wahrheit hatten sie Freyja auf ihren Hof locken wollen, um … j a, um was?
»Was sucht Ihr, Herr?«, hörte er eine Stimme hinter sich. Eine breithüftige Frau mit hartem Gesicht schaute vom Nachbargrundstück herüber.
»Nichts, äh … ich wollte eigentlich zur Witwe Drusweiler. Oder zur Frau des Bergmanns Koechlin.«
»Wieso? Die sind doch daheim.«
»Es macht aber niemand auf.«
»Macht niemand auf?«, wiederholte die Frau und rieb sich nachdenklich die spitze Nase. »Komisch, ich hab sie vorhin noch gesehen. Na, die beiden sind sowieso ein merkwürdiges Gespann.«
»Ach ja?« Lapidius’ Interesse war geweckt. Vielleicht konnte die Nachbarin ihm etwas über die Zeuginnen erzählen. »Ich muss die beiden einiges fragen, aber das scheint schwieriger zu sein, als ich dachte.«
Die Frau kam näher. Offenbar hatte sie gegen ein Schwätzchen nichts einzuwenden. »Schwieriger zu sein?«, wiederholte sie. »Komisch sind die. Glucken von morgens bis abends zusammen und gackern wie die Henne auf dem Ei.« Sie rieb sich abermals die Nase. Lapidius erkannte die Ursache: ein juckendes, nässendes Ekzem. »Sagen tun die unsereiner ja nichts, aber man bekommt trotzdem seinen Teil mit.«
»Ja, natürlich.« Lapidius gab sich verständig. »Was hört man denn so?«
»Was man so hört? Dass den beiden Geld zugewachsen ist, das hört man. Aber keiner weiß, woher. Walter Koechlin bringt nicht viel nach Hause, müsst Ihr wissen, und die Drusweiler hatte alleweil nicht das Schwarze unterm Nagel. Aber neuerdings sieht man sie in feinem Tuch, und neues Steinzeug hat sie angeschafft und eine wertvolle Truhe dazu.« »Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! « Lapidius heuchelte Empörung. »Wie kommt denn so etwas?«
»Wie so etwas kommt? Weiß der Teufel. Von den Koechlins heißt es gar, sie wollten sich eine Kutsche kaufen. Eine Kutsche, Herr! Wo der Walter, dieser Strohkopf, nicht mal lesen und schreiben kann. Na, wahrscheinlich wollen die Herrschaften damit zur Kirche fahren und mächtig protzen, aber es wär das erste Mal, sag ich Euch, dass die sich in St. Gabriel sehen lassen. Gottlos sind die, gottlos! Fragt nur den Herrn Pfarrer, der meint das auch, obwohl er es nicht gesagt hat, aber dass er es auch meint, ist so sicher, wie auf Ostern Pfingsten folgt.«
»Aha. Nun ja.« Lapidius spürte, dass es Zeit war, zu gehen. »Danke für die Auskünfte. Ihr habt mir sehr geholfen. Ich wünsche Euch noch einen guten Tag.«
Schnell machte er, dass er weiterkam. Er schritt Richtung Gabrielsplatz, und die Worte der Nachbarin verfolgten ihn. Geld war den Zeuginnen zugewachsen, so hatte die geschwätzige Frau gesagt. Der Gedanke lag nahe, dass es von den geheimnisvollen Hintermännern kam, denen sie dienten. Ja, so musste es sein. Die Koechlin und die Drusweiler hatten Freyja gegen einen Judaslohn denunziert. Gottlos waren die beiden Weibsbilder – auch nach Meinung des Pfarrers. Vor Lapidius tauchte das breite Portal von St. Gabriel auf, und ein plötzlicher Gedanke ließ ihn seine Schritte dorthin lenken. Er wollte den Pfarrer kennen lernen. Jenen Mann, der andere für gottlos hielt, es aber selbst nicht für nötig hielt, einer armen Seele wie Gunda Löbesam den letzten Segen zu erteilen.
Pfarrer Vierbusch war allein in der Kirche. Er befand sich im östlichen Seitenschiff, wo er, vor einem Triptychon kniend, ins Gebet versunken war. Lapidius trat hinzu. Um den Geistlichen nicht bei seiner Zwiesprache mit Gott zu stören, nahm er geräuschlos in einer Kirchenbank Platz.
Vierbusch ließ sich Zeit. Offenbar hatte er eine Menge mit seinem Schöpfer zu besprechen. Endlich richtete er sich auf, was ihm nur mit einiger Anstrengung gelang, denn er gehörte weder zu den Jüngsten noch zu den Schlanksten im Lande. Mit seiner Sehkraft stand es ebenfalls nicht zum Besten, weshalb er, sich umwendend, Lapidius zunächst für eines seiner Gemeindemitglieder hielt. »Mein Sohn«, sprach er mit einer Stimme, die den geübten Prediger verriet, »was führt dich zu dieser Stunde in das Haus des Herrn?«
Lapidius erhob sich und tat einen Schritt auf den Gottesmann zu, was diesen sogleich seinen Fehler bemerken ließ.
»Oh, ich bitte um Vergebung, Herr. Ich kenne Euch nicht …«
»Ich bin der Magister Lapidius und lebe erst seit kurzem in der Stadt.« Den
Weitere Kostenlose Bücher