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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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versichern, um jede arme Seele.«
    »Es gibt eine Seele, für die Ihr noch nicht gebetet habt. Ich spreche von der Toten, die am 15. dieses Monats auf dem Gemswieser Markt gefunden wurde. Sie ruht mittlerweile in der Erde. Ihr Name ist Gunda Löbesam.«
    »Wie? Oh! Ach ja, die Tote vom Markt.« Wenn Vierbusch sich über Lapidius’ Direktheit ärgerte, so zeigte er es zumindest nicht. »Gunda … wie hieß sie noch?«
    »Löbesam.«
    »Löbesam? Nie gehört.« Abermals zog das milde Lächeln auf des Pfarrers Gesichtszüge. »Aber was glaubt Ihr wohl, Herr Lapidius, was ich gerade tat, als Ihr in meine Kirche tratet? Richtig, ich betete für diese Tote, deren Name, wie Ihr sagtet, Löbesam ist. Nun, der tut nichts zur Sache, denn die unsterbliche Seele hat keinen Namen.« Vierbusch breitete die Arme in Richtung Triptychon aus. »Und wo ließe sich besser beten als vor diesem wunderbaren Werk des Malers Mathias Gothart-Nithart! Ich darf voraussetzen, dass Ihr um die Besonderheit eines Triptychons wisst?« »Das dürft Ihr, werter Pfarrer.« Lapidius war im christlichen Glauben erzogen worden.
    »Das Kunstwerk wird Gabriel-Triptychon geheißen, denn auf allen drei Bildnissen begegnet Euch der Erzengel.«
    Lapidius betrachtete den Altar. Im mittleren Teil war der Engel allein abgebildet, über seinen blonden wallenden Locken befand sich die Inschrift: Angelus Gabrielus. Der linke Flügel zeigte ihn kniend vor Jesus, vereint mit ihm im stillen Gebet, dazu der Text: Angelus Gabrielus orat cum JFD. Rechts durchbohrte er mit dem Speer drei Teufel zu seinen Füßen, dazu stand in goldenen Lettern: Angelus Gabrielus necaret FS.
    Lapidius spürte, wie die Abbildungen ihn fesselten. Besonders nach rechts, dorthin, wo die Teufel ihr Leben unter des Erzengels Füßen aushauchten, musste er immer wieder blicken. Natürlich konnte er den lateinischen Text übersetzen, wusste aber nichts mit den Buchstaben am Ende der Sprüche anzufangen. »Sagt, Herr Pfarrer, was bedeuten JFD und FS? Mir scheint, der Künstler wollte dem Betrachter ein Rätsel aufgeben.«
    Vierbusch lachte. »Ein Rätsel? Gothart-Nithart? Wo denkt Ihr hin! Wisset, dass es ihm darum ging, den ureigenen Sinn eines Triptychons, nämlich die Verkörperung der Zahl drei, in möglichst großer Mannigfaltigkeit zu repetieren. Nicht nur durch die dreifache Abbildung des Engels, auch durch die Verdreifachung der Teufelsgestalt, durch den dreigezackten Speer, ja sogar durch die dreizeilige Abfassung des j eweiligen Textes auf den Flügeln. Wie Ihr sehen könnt, hat allerdings die dritte Zeile in ihrer Länge nicht mehr gereicht, um die letzten Worte des Spruches ausschreiben zu können. Gothart-Nithart war ein begnadeter Maler, aber ein weniger guter Typograph.« Der Pfarrer stellte sich auf die Zehenspitzen und deutete auf die linke Buchstabenkombination. »Seht her, die Lettern JFD stehen für Jesu Filio Dei. Der Gesamttext heißt somit ›Der Engel Gabriel betet mit Jesus, dem Sohn Gottes‹.«
    Lapidius nickte. Weit mehr interessierte ihn die rechte Seite. »Und die andere Abkürzung?« »Die Buchstaben F und S? Damit sind die ›Söhne des Teufels‹ gemeint, Filii Satani. «
    » Filii Satani ?« Lapidius schreckte innerlich zusammen. ›Der Engel Gabriel tötet die Söhne des Teufels‹, war der Sinn des Satzes. Er konnte es sich nicht erklären, aber im Klang der Worte schwang für ihn das Böse mit. Ungreifbar und doch vorhanden.
    Vierbusch entgingen Lapidius’ Gefühle. Er reckte sich noch ein wenig höher, wobei sein Gesicht rot anlief, nicht nur der Anstrengung wegen, sondern auch, wie seine nächsten Sätze zeigen sollten, vor Abscheu. »Etwas Unfassbares ist geschehen, Herr Lapidius, eine Schändung, wie ich sie nie für möglich gehalten hätte! Ein Fanal der Sünde! Schaut nur, eine Schurkenhand hat das rechte Bildnis verunziert: Der Hals des Engels wurde durch einen Schnitt entstellt – einen Schnitt, der zweifellos von einem Messer herrührt und so tief ins Holz geht, dass man meinen könnte, der Täter habe Angelus Gabrielus meucheln wollen.«
    »Ich sehe ihn. Ihr habt Recht.« Lapidius empfand die Gegenwart des Bösen jetzt noch deutlicher, doch er schüttelte das Gefühl ab. Es musste einen Grund für diese Barbarei geben. Aber welchen? »Vielleicht geschah die Tat aus Zerstörungswut?«
    »Aus Zerstörungswut? Das bezweifle ich. Wer ein Bild demolieren will, macht es ganz kaputt, gießt Säure darüber oder zündet es an. Nein, nein, daran glaube ich

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