Die Hitzkammer
zweiten Teil seiner Erklärung bereute Lapidius umgehend, denn er klang wie eine Entschuldigung dafür, dass er St. Gabriel noch keinen Besuch abgestattet hatte, und das war keineswegs beabsichtigt.
»Vierbusch, verehrter Magister, ich bin Hirte der hiesigen Gemeinde. Wenn Ihr erst kurz in der Stadt seid, so ist es nur natürlich, dass Ihr den Weg in mein Gotteshaus noch nicht gefunden habt, indes: Ich darf hinkünftig auf Euer Erscheinen zählen?«
Lapidius schwieg.
»Äh … nun.« Vierbusch, der als Antwort selbstverständlich eine Bejahung erwartet hatte – etwas anderes war in Kirchrode undenkbar –, sammelte sich. Dann hakte er nach: »Ihr glaubt doch an Unseren erhabenen Schöpfer, an Jesum Christum Seinen eingeborenen Sohn und an die gebenedeite Jungfrau Maria?«
Lapidius hielt dem Blick des Geistlichen stand. »Ich glaube an Gott in seiner Ursprünglichkeit, Herr Pfarrer. Er bewirkt das Wunder des Lebens und die vielen Unbegreiflichkeiten, die uns an jedem Tag begegnen, in Erde, Wasser, Luft und Feuer. Doch wenn Ihr gestattet, würde ich Euch gern eine Gegenfrage stellen: Kennt Ihr die Bergmannsfrau Koechlin und die Witwe Drusweiler?«
Vierbusch zog die Brauen hoch. Es waren starke, mit grauen Haaren durchzogene Büschel, wie sie bei älteren Männern häufig vorkommen. »Ich bin Kirchroder. Niemand, der das von sich sagen kann, kennt die beiden nicht.«
»Was haltet Ihr von ihnen?« »Was ich von ihnen halte? Nun, die beiden sind mir bekannt, wenn auch nicht sehr gut. Deshalb will ich lieber schweigen, denn wie heißt es so richtig: ›Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächstens.‹«
Eine derartige Antwort hatte Lapidius fast erwartet. Er war deshalb einen Schritt zur Seite getreten und wies nun mit der Hand auf einen hölzernen, mit einer Dornenkrone gezierten Opferstock. »Welch schönes Stück! Es muss eine wahre Künstlerhand sein, die so etwas zu fertigen in der Lage ist.« Das Poltern von Silbermünzen erklang. Sie hatten den Weg aus Lapidius’ Hand in den Kasten gefunden.
»Äh … ganz recht, ganz recht.« Vierbusch faltete die Hände über seinem fülligen Leib. »Was nun die Koechlin und die Drusweiler anbetrifft, so kann ich von ihnen Gutes und Schlechtes berichten. Das Schlechte überwiegt allerdings. Die beiden sind säumige Kirchgängerinnen, so dass die Sorge um ihr Seelenheil mich ein ums andere Mal bewegt. Auch geben sie nicht gern, obwohl man hört, dass sie geben könnten.« Der Pfarrer machte eine beredte Pause. »Viel geben!«
»Was Ihr nicht sagt.« Lapidius stellte fest, dass der Geldsegen der Zeuginnen sich bereits bis zu Vierbusch herumgesprochen hatte. Kannte er auch die Quelle desselben? »Wie kommt es, dass die Frauen viel geben könnten?«, fragte er.
»Das weiß Gott allein, und was Gott weiß, das teilt er seinen Hirten auf Erden nicht immer mit. Das Gute nun, das es zu berichten gilt, ist die Tatsache, dass beide den Kampf gegen die Häresie unterstützen, indem sie die satanische Buhlschaft der Hexe Freyja Säckler zur Anzeige gebracht haben.«
Lapidius lag eine schroffe Erwiderung auf der Zunge, doch er beherrschte sich. »Sind sie die Einzigen, die den Beischlaf der Säckler mit dem Teufel beobachtet haben?«
Vierbusch hob entsagend die Hände. »Das entzieht sich meiner Kenntnis. Ich bin nur ein Diener im Herrn und dankbar für j ede Stimme, die sich gegen die Ketzerei erhebt. Warum fragt Ihr die Frauen nicht selbst?« Das würde ich gerne tun!, dachte Lapidius voller Ingrimm. Aber die zwei Lügnerinnen verstecken sich vor mir wie die Ratten im Loch. Und ich habe keine Möglichkeit, sie da herauszuholen. Weder Krabiehl würde mir dabei helfen noch der Stadtrat noch Richter Reinhardt Meckel. Sie alle glauben, was sie glauben wollen: dass Freyja eine Hexe ist. Sie glauben es aus den unterschiedlichsten Gründen, aus Dummheit, Engstirnigkeit, Oberflächlichkeit. Vielleicht auch aus Neid auf ihre Jugend. Und aus Geldgier – wie die Zeuginnen. Vor allem aber aus Bequemlichkeit, denn es ist viel einfacher, j emandem unter der Folter ein Geständnis abzupressen und ihn anschließend brennen zu lassen, als sich der Mühe zu unterziehen, seine Unschuld zu beweisen. Deshalb muss ich ihr helfen. Laut sagte er: »Nicht j eder, der als Ketzer angeklagt ist, erweist sich auch als ein solcher. Ihr könntet die Säckler in Eure Gebete einschließen.«
Der Pfarrer stutzte. Dann ging ein mildes Lächeln über seine Züge. »Ich bete, dessen kann ich Euch
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