Die Hitzkammer
grimmig, »noch nicht. Und mich auch nicht.«
Er sah sich um, aber niemand hielt sich mehr in der Gasse auf. Das kam ihm gelegen, denn so konnte er den Kopf unbeobachtet abnehmen. Als er ihn in seinen Händen hielt, überkamen ihn Ekel und Abscheu, und abermals wurde ihm übel, aber für Gefühle blieb keine Zeit. Rasch schlüpfte er zurück ins Haus.
»So, Herr, bin fertich mit Freyja!« Marthes Holzschuhe erschienen auf der Treppe und klapperten die Stufen herab.
Sie darf den Kopf nicht sehen!, schoss es Lapidius durchs Hirn. Sie ist sowieso schon voller Angst, und wenn sie das hier sieht, geht sie noch heute zu ihrer Mutter zurück. Weil ihm nichts Besseres einfiel, öffnete er hastig die Kiste und tat den Kopf hinein. Keinen Augenblick zu früh, denn Marthe war unterdessen schon zur Gänze erschienen und fragte:
»Sollich nu ne Stärkung machen, Herr? Ich hab aber nix Dolles, könnt Euch ne Putterpomme schmieren.«
»Nein«, sagte Lapidius.
»Aber, aber, vorhin solltich doch noch …«
»Das war vorhin. Ich habe keinen Hunger mehr.« Lapidius kramte in der Geldkatze an seinem Gürtel. »Hier ist ein Taler als Anzahlung. Gehe damit hinüber zu Tauflieb und entbiete ihm meinen Gruß. Er möge sofort kommen und die Schlösser reparieren. Es kann nicht sein, dass die Haustür über Nacht sperrangelweit offen steht.«
Marthe verschwand.
Lapidius nahm den Frauenkopf aus der Kiste. Wohin damit? Das war die Frage. In jedem Fall musste er kühl aufbewahrt werden, an einem Ort, wo ihn niemand finden konnte. Er überlegte rasch, dann wusste er es. Der sicherste Platz war die in den Boden unter der Küche eingelassene Vorratsgrube. Eine hölzerne Klappe führte in das Gelass, in dem man nur gebückt stehen konnte. Er schlug ein Tuch um den Kopf und schob ihn in die hinterste Ecke, zwischen tönerne Krüge mit allerlei sauer Eingemachtem.
Zu welchem Körper gehörte der Schädel? Wie hieß die junge Frau, die so grausam getötet worden war? Solche und ähnliche Fragen gingen Lapidius durch den Sinn, als er wieder auf ebener Erde stand. Da er nicht in der Küche bleiben wollte, ging er zurück ins Laboratorium und setzte sich auf seinen Stuhl. Kaum hatte er es sich bequem gemacht, erschien auch schon Tauflieb, Gorm im Gefolge.
»Das kostet extra«, knurrte der Meister, in der Dielentür Halt machend.
»Erst einmal guten Tag, Meister Tauflieb«, erwiderte Lapidius, der sich höflich hatte erheben wollen, nun aber, angesichts des barschen Tons, sitzen blieb. »Ich danke Euch, dass Ihr so schnell kommen konntet. Das Schloss in der Haustür muss repariert werden.«
»Das ist mir nicht entgangen«, blaffte Tauflieb. »Aber ich hab anderes zu tun. Wenn ichs mach, kostet es extra und ist mit einem läppischen Taler nicht abgetan.«
»Fangt nur schon an. Darüber reden wir später.«
Tauflieb schoss einen Blick ab, als habe Lapidius ihn tödlich beleidigt, grunzte und wandte sich um. Mit dürren Worten erklärte er Gorm, was zu tun war. Der Koloss fackelte nicht lange, packte die Eichentür und hob sie aus den Scharnieren, als sei sie aus Luft. Der Meister beugte sich darüber. Kopfschüttelnd untersuchte er die Reste des Schließmechanismus. »Die Reparatur lohnt nicht«, knurrte er, ohne Lapidius eines Blickes zu würdigen. »Das muss alles neu.«
Im Verlaufe der nächsten Stunde brachte er ein größeres Schloss an und ersetzte auch die herausgerissenen Schellen für die schweren Riegel.
Lapidius, der gerne zusah, wenn jemand seine Arbeit verstand, sagte: »Wo wart Ihr eigentlich, als der Pöbel heute Morgen mein Haus stürmte?«
Tauflieb blickte auf. In seinen Augen stand Wachsamkeit. »Soll das ein Verhör werden? Ich sags Euch, denn ich hab nichts zu verbergen: In meiner Werkstatt war ich, und Gorm war bei mir. Den hätt ich sehen mögen, der ungebeten in mein Haus kommen will! Hackfleisch hätt Gorm aus dem gemacht!«
»Harhar, Hackfleisch … das is lustich! Hackfleisch … harhar! «, machte der Hilfsmann.
Lapidius nickte. »Und darauf, dass Gorm mich, äh … gewissermaßen nachbarschaftlich hätte unterstützen können, darauf seid Ihr nicht gekommen?«
»Ich erwarte nichts von anderen, und andere haben nichts von mir zu erwarten.« Taufliebs Ton ließ an Patzigkeit nichts zu wünschen übrig. »Los, Gorm, setz die Tür wieder ein.«
»Ja, Tür einsetzen, ja.« Der Riese tat wie ihm geheißen.
»Was ist mit dem Schloss im Oberstock?«, fragte Tauflieb. »Marthe sagte, es wär rausgerissen und müsste
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