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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Diele und begann die Steine einzusortieren. Draußen lief ab und zu ein Gaffer vorbei, starrte wie gebannt auf das Haus und steckte den Kopf zur Tür herein. Lapidius scherte sich nicht darum. Er überlegte, ob es richtig gewesen war, nicht nach Freyja zu suchen. Wenn sie gestochen worden war, dann mit großer Wahrscheinlichkeit auf einem öffentlichen Platz, wo die Neugierigen und Lüsternen auf ihre Kosten kamen. Und derlei Plätze gab es nicht viele. Er hätte gehen müssen.
    Ein Erzbrocken fiel ihm aus der Hand und landete polternd in den Tiefen der Kiste. Er bückte sich, und das Poltern setzte erneut ein. Wie konnte das sein? Ihm war doch nur der eine Brocken aus der Hand gefallen? Der Laut musste eine andere Ursache haben. Abermals ein Poltern! Jetzt wusste er es. Es kam aus den oberen Stockwerken. Hielten sich dort noch Häscher versteckt? Er nahm einen passenden Stein in die Faust und hastete die Stiege hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Wild entschlossen, sich nicht schon wieder überrumpeln zu lassen, langte er oben an – und trat in eine große Staubwolke. Sie kam aus der weit offenen Türklappe. Suchend blickte er sich um. Dann hörte er ein schwaches Husten und war mit zwei, drei großen Schritten vor der Hitzkammer.
    »Sind sie weg?«, fragte Freyja.
    »Großer Gott!«, war alles, was Lapidius hervorbrachte. »Großer Gott, wo warst du?«
    Freyja schwieg. Sie lag gekrümmt auf der Seite; von ihrem Gesicht und den blonden Haaren war kaum etwas zu sehen, weil eine dicke Staubschicht alles bedeckte.
    »Und ich dachte schon an einen neuen Überfall! Wo warst du nur?«
    Langsam deutete ihre Hand nach oben. »Im Gebälk.« »Im Gebälk? Ja, aber …«
    »Konnt doch nicht raus hier. War verrückt vor Angst. Da bin ich die Sparren hoch.« Freyjas Stimme war nur ein Wispern.
    »Großer Gott!«, murmelte Lapidius zum wiederholten Mal, denn ihm war klar geworden, dass er fast den folgenschwersten Fehler seines Lebens begangen hätte. Er hatte Freyj a durch den Sprechschacht zugerufen, sie solle aus der Hitzkammer steigen und fliehen – und dabei vergessen, dass die Türklappe verschlossen war. Abgesperrt von ihm persönlich.
    »Ich dacht, mein letztes Stündlein wär gekommen«, stöhnte Freyja. »Da bin ich die Sparren hoch, und irgendwie gings.« »Gott sei Lob und Dank.«
    »Das Schloss haben sie geknackt und ihre Köpfe zu mir reingesteckt. Spucken hätt ich auf sie können, so dicht waren sie unter mir. Habs aber nicht getan. Hab die Luft angehalten und gebetet.«
    »Ich bin ein Hornochse, wie er im Buche steht! Ich glaubte, ich könnte den edlen Ritter spielen und dich vor dem anrennenden Pack schützen. Das ist mir gründlich danebengegangen.« Lapidius zog sich mit zitternden Knien die Truhe heran. Sie hatte an den Ecken schwere Eisenbeschläge und war deshalb heil geblieben. Er setzte sich.
    »Wollt nicht weg da oben, bevor es dunkel ist. Aber ich konnt nicht mehr, bin runtergefallen.« Freyjas letzte Worte waren kaum noch zu hören. Ein Zucken ging durch ihren Leib, und Lapidius erkannte zu seinem Entsetzen, dass sie lautlos weinte. Tränen quollen aus ihren Augenwinkeln und zogen Bahnen in ihr staubbedecktes Gesicht.
    »Um Himmels willen, du hast dir doch nichts getan?« Die Tränen liefen weiter, aber sie schüttelte den Kopf.
    »Wir … wir müssen sofort etwas unternehmen«, stam-
    melte er. »Marthe! Marthe, hörst du mich?«
    »Ja, Herr, wassis?«, kam von unten die Antwort.
    »Bringe sofort Waschwasser, Tücher und Seife herauf. Auch Brunnenwasser zum Trinken. Und Brühe. Und die Quecksilbersalbe und das Kalkpulver.« Trotz des Staubs hatte er bemerkt, dass die Geschwüre um Freyjas Mund größer geworden waren. Sicher hatten sie sich auch in der Mundhöhle ausgebreitet. Sie gingen einher mit übel riechendem Speichelfluss, dem Anzeichen dafür, dass die krankheitsverursachende Materie ausgeschieden wurde.
    »Bin hier noch nich fertich, Herr.«
    »Dann lass die Arbeit liegen.« Er wiederholte noch einmal, was er brauchte.
    Doch bis das Gewünschte den Weg in den Oberstock gefunden hatte, wurde seine Geduld auf eine harte Probe gestellt, denn die Magd musste dreimal gehen, weil sie immer wieder etwas vergessen hatte. Lapidius nahm es ihr nicht übel, nach allem, was geschehen war. Endlich hatte Marthe es geschafft, und er konnte seine Anweisungen geben. Freyj a sollte zunächst einmal den Mund gut ausspülen und danach Brunnenwasser und Brühe zu trinken bekommen, sodann von Kopf bis

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