Die Hitzkammer
Vielleicht hatte er sich sogar an der Zerstörung seines Eigentums beteiligt – statt einzuschreiten, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Aber die hatte er ja schon vernachlässigt, als er den Pöbel nicht entschlossen genug an der Haustür zurückgedrängt hatte. »Taugt Krabiehl eigentlich etwas als Büttel?«
Meckel stutzte. Sein Trommeln setzte aus. »Was soll die Frage? Natürlich. Der Mann ist die Zuverlässigkeit in Person.«
»Ich frage mich nur, warum er Euch dann belügt.«
»Wie? Was? Ihr scherzt!«
»Keineswegs. Ich versichere Euch, dass Freyja Säckler zu keinem Zeitpunkt mein Haus verlassen hat. Ich, äh … habe sie nur vor dem Pöbel, der sie sonst bei lebendigem Leibe gestochen und verbrannt hätte, versteckt. Sie befindet sich jetzt wieder in ihrer Kammer, wo die Behandlung der Syphilis fortgesetzt wird. Ihr könnt Euch jederzeit selbst davon überzeugen.«
In Meckels Gesicht arbeitete es. Die Situation hatte sich geändert. Grundlegend geändert. Er war schon kurz davor gewesen, auch Lapidius öffentlich der Hexerei anzuklagen, und dieses morgendliche Gespräch sollte ein kleiner Vorgeschmack darauf sein. Immerhin wäre der Mann nicht der erste Alchemist gewesen, der sich mit bösen Mächten verband. Seton aus Sachsen war anno 1514 genau deshalb gefoltert worden, und Meckel hatte keinen Grund gesehen, warum sich das in Kirchrode nicht wiederholen sollte.
Doch nun war alles anders. Er würde, sowie es seine Zeit erlaubte, dem Büttel gehörig den Marsch blasen – und dafür sorgen, dass so etwas sich nicht wiederholte.
Der Richter entspannte sich. Wie gut, dass er den Fall nicht gleich an die große Glocke gehängt hatte. Wie gut, wie gut … »Wie geht es der Säckler?«, fragte er.
Lapidius, der den Wechsel der Gefühle in Meckels Gesicht verfolgt hatte, stellte fest, dass der Richter sich wieder unter Kontrolle hatte. Seine Augen wirkten so kühl und abschätzend wie am Anfang der Unterredung. »Sie kämpft gegen die Krankheit.«
»Ich hoffe, äh … sie gewinnt den Kampf?«
»Ich tue, was ich kann.«
»Sicher, sicher. Spricht sie viel?«
»Warum fragt Ihr das?«
»Nun, wer viel spricht, könnte sich als Hexe entlarven. Sollte die Säckler auch nur andeutungsweise eine derartige Bemerkung machen, seid Ihr verpflichtet, sie mir unverzüglich mitzuteilen. Aber das muss ich wohl nicht betonen.«
»Nein.«
»Also? Spricht die Säckler viel? Und wenn ja, was?«
Meckels Augen waren jetzt unverwandt auf Lapidius gerichtet, und der fragte sich, ob es die Augen waren, die Freyja in den Bergen gesehen hatte. »Nein, die Säckler redet nicht viel. Ihr fehlt die Kraft dazu. Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?«
»Äh … nein.«
»Dann darf ich mich empfehlen.«
Lapidius stand in seinem arg gelichteten Laboratorium und überlegte, was als Nächstes zu tun sei. Eben war er nach Hause gekommen und musste nun seinen Tag planen. Der Kopf in der Vorratsgrube fiel ihm ein. Ihn wollte er untersuchen, so schnell wie möglich. Doch dazu musste er allein sein. »Marthe! He, Marthe?«
Es dauerte eine Weile, bis die Magd aus der Küche heranschlurfte. »Wassis, Herr?«
»Heute ist Markt, wie du weißt. Geh hin und besorge ein Huhn. Jung und zart muss es sein. Mir steht der Sinn nach pfeffrig gebratenem Brüstchen in Honigsauce.«
Marthe, eben noch mit unwirschem Gesichtsausdruck, taute auf, da von Essen die Rede war. »Ja, Herr. Oh, Herr, wusst gar nich, dass Ihr Hühnchen mögt.«
»Dann weißt du es jetzt. Nun geh.«
Als die Magd verschwunden war, eilte Lapidius zu Freyja hinauf und stellte erleichtert fest, dass sie schlief. Das Tranquilium tat noch seine Wirkung. Er stieg hinab in die Küche und holte den Kopf aus der Vorratsgrube. Ihn behutsam vor sich hertragend, brachte er ihn in sein Laboratorium und stellte ihn dort auf den Tisch. Angesichts des entseelten Blicks der Toten überkam ihn abermals Übelkeit. Er befahl sich, einfach nicht darauf zu achten und die Untersuchung direkt bei den Augen zu beginnen. Die Lider waren halb geöffnet und die Augäpfel, trotz des feuchten Klimas in der Grube, schon eingetrocknet und eingefallen. Die Hornhaut wirkte milchig wie bei nicht frischem Fisch. Er schloss der Toten die Augen und betrachtete ihr Gesicht zum ersten Mal genauer. Sie war eine sehr schöne Frau gewesen, mit klaren, ebenmäßigen Gesichtszügen. Ob sie ähnlich gute Zähne gehabt hatte wie Gunda Löbesam? Er war im Begriff, die Lippen zu öffnen, als es plötzlich laut an
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