Die Hitzkammer
Fuß gewaschen und anschließend mit dem Unguentum neu eingerieben werden. Auf die äußerlichen Geschwüre sollte eine doppelte Menge Kalkpulver kommen. Und noch etwas fiel ihm ein: Er befahl Marthe, auch das Stroh für die Matratze zu wechseln.
Nachdem er somit getan hatte, was getan werden konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als den Weg nach unten anzutreten, denn die Schicklichkeit verbot es, eine nackte Frau anzusehen. Vorher j edoch versprach er Freyj a, ihr wie immer am Abend die Öllampe anzuzünden. Dann stapfte er die Treppe hinunter.
Er ging wieder in die Diele und verbrachte die nächste halbe Stunde damit, das restliche Gestein in die Kiste zu räumen. Als dies geschehen war, rückte er sie wieder vor die Tür. Abermals strich ein Pulk Menschen an seinem Haus vorbei und stierte herüber. Er kümmerte sich nicht um die Gaffer, sondern kehrte ihnen den Rücken und betrat sein Laboratorium. Das Herz tat ihm weh, als er sah, wie leer der Raum j etzt war. Marthe war schon fast fertig gewesen, als er sie fortgerufen hatte. Der Experimentiertisch stand wieder, und auch sein Bett befand sich am alten Platz. Jedoch mit abenteuerlich schiefer Liegefläche, weil ihm ein Bein fehlte. Ein derber Stiefel hatte es wohl abgetreten. Drei Glasgeräte, ein Pelikan, ein Bär und eine Wildgans, hatten der Zerstörungswut getrotzt und waren von Marthe auf dem Boden abgestellt worden. Der doppelschnablige, im eisernen Dreibein ruhende Alambic wies einen gewaltigen Sprung auf, aber gottlob in einem Bereich, der seine Funktion nicht beeinträchtigte. Auch ein paar Albarellos und tönerne Gefäße hatten überlebt.
Und der Athanor. Der Ofen des Alchemisten, Träger der immer währenden Flammen. Brannte er überhaupt noch? Lapidius riss die Feuerklappe auf und starrte angstvoll ins Innere. Ja, da war noch Glut, wenn auch nur wenig. Jetzt galt es, schnell zu handeln. Er sprang hinaus auf den Hof, lud sich einen Arm voll Kaminholz auf, griff sich einen Blasebalg und stand kurz darauf wieder am Ausgangsort. Mit Handgriffen, die er hunderte von Malen geübt hatte, leerte er die Asche aus dem Athanor, füllte ihn mit guten, abgelagerten, nicht zu starken Scheiten, betätigte fortwährend den Blasebalg und sprach zu dem Ofen wie mit einem Kind. Seine Bemühungen hatten Erfolg. Alsbald leckten die Flammen am Holz empor und begannen es zu durchglühen.
Die Spannung fiel von Lapidius ab. Er nahm Platz auf seinem Lieblingsstuhl. Abermals wanderte sein Blick über den Rest seiner Geräte. Mit ein wenig Geschick und Improvisationsgabe konnte er seine Arbeit fortsetzen. Allerdings musste die Variatio VI zunächst warten. Er würde andere Projekte vorziehen, simplere Versuche, bis neue Kolben und Tiegel aus Italien eingetroffen waren. Bis zu sechs Monate konnte das dauern, aber die Glaswaren aus Murano waren unvergleichlich, unvergleichlich, unvergleichlich …
Er schreckte hoch. Für einen Augenblick musste er eingenickt sein. Er schalt sich dafür. Wie konnte er schlafen angesichts dessen, was passiert war! Andererseits: Was konnte er sonst tun? Er horchte nach oben. Marthe schwätzte irgendetwas, sie war wohl noch mit der Versorgung Freyjas beschäftigt. Nachher würde er nach seiner Patientin sehen. In der geöffneten Tür erkannte er schon wieder Neugierige, die um sein Haus herumstrichen und mit den Fingern darauf wiesen. Doch diesmal wollte er eingreifen. Er lief in die Diele und sprang über die Erzkiste hinaus auf die Gasse. »Kümmert euch um eure eigenen Angelegenheiten! «, rief er erbost und sah mit Genugtuung, wie die Gaffer eiligst verschwanden. Er wollte schon wieder hineingehen, da fiel ihm ein, dass die Leute ständig auf einen Punkt über seiner Haustür gezeigt hatten. War da etwas? Er blickte hoch – und stand wie vom Donner gerührt.
Er hatte in zwei tote Augen gesehen.
Die Augen gehörten zu einem Kopf, der wie eine schauerliche Galionsfigur mitten über seiner Tür hing. Es war der Kopf einer Frau, und er bot einen Furcht einflößenden Anblick, denn in der Stirn, links und rechts, steckten zwei Bockshörner. Dazwischen befanden sich, fast hatte Lapidius es erwartet, die eingeschnittenen Buchstaben F und S.
Ihm wurde übel. Mehrere Male musste er schlucken. Das also war der Grund für die ungeheuerlichen Geschehnisse vor seinem Haus! Er spürte, jetzt brauchte er all seinen Verstand, denn die Mörderbande, die dies verbrochen hatte, wartete nur auf seine Fehler. »Noch habt ihr Freyj a nicht«, murmelte er
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