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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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verbirgst du da vor mir?«
    »Nix, Herr. Essis meins, un ich gebs nich her!«
    Lapidius musste lächeln. »Gib schon.«
    Widerstrebend legte die Magd ihm den Gegenstand in die Hand. Es war eine kleine goldfarben angemalte Madonna mit Jesuskind. Ihr Gewand wies deutliche Kratzspuren auf. »Nanu, was hat das zu bedeuten?«
    »Essis ne Schluckmadonna, Herr. Man kratzt was ab un tuts in Wasser oder Wein un trinkts dann.«
    Lapidius konnte nicht ganz folgen. »Du gibst die Kratzpartikel ins Wasser und trinkst sie?«
    »Ja, Herr, essis ja ne Schluckmadonna, un wenn ich sie trink, nach un nach, kann mir nix Böses nich passiern.« »Ich verstehe«, sagte Lapidius.
    Dann gab er die Madonna zurück.

ELFTER
BEHANDLUNGSTAG
    Wieder einmal schlug Lapidius einen weiten Bogen um den Gemswieser Markt. Es war Freitag, und wie immer an diesem Wochentag boten die Marktleute ihre Waren an. Unter ihnen, da war er sicher, befanden sich nicht wenige, die gestern sein Haus gestürmt hatten, um Freyj a herauszuholen und zu stechen. Vielleicht sogar zu töten.
    Eilig ging er die Hofstraße entlang, an den Fischteichen vorbei, immer wieder verstohlen durch die Quergassen blickend, an deren Ende einzelne Buden und Stände erkennbar waren. Als er das Altenauer Eck erreicht hatte, wusste er: Die nächste Gasse rechts musste die Speckgasse sein – wo Reinhardt Meckel ein Haus besaß.
    Der Richter hatte in aller Herrgottsfrühe einen Diener zu Lapidius geschickt und um unverzüglichen Besuch gebeten. Den Grund dafür hatte er nicht genannt, so dass Lapidius nur Vermutungen blieben. Er nahm an, dass es um Freyja ging, und fragte sich, ob Nachricht von den hohen Räten aus Goslar eingetroffen war. Wenn ja, konnte das vielerlei bedeuten: Freispruch, Neuaufnahme des Verfahrens, Fortführung desselben, vielleicht auch die Bestätigung der Folterungen mit der Maßgabe, sie so lange fortzusetzen, bis das Geständnis vorlag. Er hoffte inbrünstig, dass seine Befürchtungen sich nicht bewahrheiteten, und beschleunigte seinen Schritt.
    Gleich würde er es erfahren, denn schon tat sich vor ihm ein prächtiges Anwesen auf, ein herrlicher Fachwerkbau mit reichen Schnitzereien. Meckels Domizil.
    Lapidius betätigte den löwenkopfförmigen Türklopfer. Ein Bediensteter öffnete und führte ihn ohne Umwege zu seinem Herrn. Reinhardt Meckel, Richter zu Kirchrode und Stadtrat daselbst, trug noch sein Nachtgewand, als er Lapidius empfing. Er tat es in seinem Schlafzimmer, an einem Bocktisch sitzend und herzhaft gähnend. »Ich habe einen arbeitsreichen Tag vor mir, Magister Lapidius«, sagte er, und seine Stimme wirkte keineswegs müde, »deshalb bat ich Euch, mich noch vor dem Ankleiden aufzusuchen.«
    »Ich verstehe«, antwortete Lapidius und hielt vergebens nach einem Stuhl Ausschau. Er begann sich zu ärgern. Ihn im Nachtgewand zu empfangen war schon eine Taktlosigkeit, ihm nicht einmal eine Sitzgelegenheit anzubieten, eine Frechheit.
    »Ich will es kurz machen.« Meckel bückte sich und drückte einem Diener sein Nachtgeschirr in die Hand. »Trag das fort, Albrecht, und sorge dafür, dass wir nicht gestört werden. Nun«, er wandte sich wieder Lapidius zu, »wie gesagt, ich will es kurz machen. Wie Ihr sicher noch wisst, obliegt Euch die Verantwortung für Freyja Säckler. Ihr seid es, der dafür Sorge zu tragen hat, dass diese Person in sicherer Verwahrung ist, bis ihr weiter der Prozess gemacht wird. Nun allerdings ist die Hexe fort; sie befindet sich nicht mehr in Eurem Haus, und ich frage Euch, wo sie sich aufhält.«
    Lapidius rang um Fassung. Er war keines Verbrechens angeklagt und befand sich ebenso wenig in einem Verhör, obwohl Meckels Gehabe ganz danach war. Er beschloss, den Spieß umzudrehen. »Woher wollt Ihr wissen, dass die Säckler sich nicht mehr in meinem Haus befindet?«, fragte er zurück. »Habt Ihr selbst nachgeschaut? Wart Ihr unter dem Pöbel, der sich gestern in der Böttgergasse zusammenrottete?«
    »Nein, natürlich nicht.« Eine Unmutsfalte erschien über Meckels Nasenwurzel. Lapidius sah es mit Befriedigung. Doch schon glättete sich die Stirn wieder. »Ich habe meine Informationsquellen.«
    »Wen?«
    Der Richter trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Wenn Ihr es unbedingt wissen wollt: Krabiehl sagte es mir.« »Das bedeutet: Der Büttel war in meinem Haus?«
    »Sicher. Was fragt Ihr?«
    Lapidius winkte ab. Krabiehl also. Der Büttel war zusammen mit der Masse in sein Haus gestürzt und hatte sich dort umgesehen.

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