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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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getrocknetem Blut. Die Hautränder zeigten, dass der Schädel nicht abgeschlagen, sondern abgeschnitten worden war – wie bei Gunda Löbesam. Nun, das hatte er vermutet. Interessant würde sein, wie der Halswirbel durchtrennt worden war. Lapidius nahm den Knochen in Augenschein und entdeckte Sägespuren. Sägespuren wie bei den Ziegenböcken. Die Filii Satani ließen grüßen!
    Grimmig untersuchte er den Kopf weiter, doch es fiel ihm nichts Nennenswertes mehr auf. Nur ein paar weiße punktartige Flecken im Fleisch des Stumpfs. Es waren Eipakete von Schmeißfliegen. Die Insekten mussten die Eier abgelegt haben, als der Kopf über seiner Tür gehangen hatte.
    Lapidius’ Sinne waren jetzt geschärft, und er entdeckte weitere winzige Eipakete. Sie versteckten sich in den inneren Augenwinkeln und in den Buchstaben auf der Stirn. Da er nicht wusste, ob die Maden noch schlüpfen würden, nahm er eine Pinzette und entfernte zur Sicherheit die Eier. Dann betrachtete er den Kopf noch einmal von allen Seiten. Mitleid und Wehmut bemächtigten sich seiner. Diese Frau hatte einmal gelacht, geliebt, gelebt wie j ede andere auch, und j etzt war sie tot, ihr Antlitz leer, ihre Gesichtszüge entstellt. Unmenschlich sah sie aus mit den Löchern in ihrer Stirn.
    Er überlegte, ob er die Hörner wieder einsetzen sollte, doch er unterließ es. Sie waren ein Fremdkörper und hatten in dem Antlitz nichts zu suchen. Wieder musterte er den Kopf, der ihm mittlerweile sehr vertraut war. »Ich werde dich noch nicht zu Krott schaffen«, murmelte er, »ich weiß nicht, warum, aber ich habe das bestimmte Gefühl, als würdest du noch ein Geheimnis bergen. Nimm deshalb vorerst noch einmal mit der Kühlgrube vorlieb.«
    Nachdem Lapidius den Kopf fortgebracht hatte, sagte er sich, dass er von dem ewigen Kreislauf seiner Gedanken Abstand gewinnen musste. Er ging ins Laboratorium, um sich weiter seinen alchemistischen Studien zu widmen. Da er in seinen Mitteln jetzt mehr als beschränkt war, musste er den Weg der Amalgamation verlassen und versuchen, auf andere Weise zum Ziel zu kommen.
    Von den sieben hermetischen Prinzipien, die jedem Alchemisten bekannt waren, wollte er das dritte anwenden. Es besagte, dass nichts auf der Welt in Ruhe ist, sondern alles in Bewegung, also alles zu jeder Zeit schwingt. Die Veränderung der Schwingung, so hieß es weiter, brachte bei vielen Stoffen eine qualitative Verbesserung mit sich.
    Da nun Gold eine höhere Schwingung als Quecksilber hatte, musste man das Hydrargyrium nur in entsprechende Bewegung versetzen, um das wertvollste aller Metalle zu gewinnen. Lapidius wusste, dass schon Generationen von Wissenschaftlern vor ihm diesen Weg gegangen waren und dass nur die wenigsten von ihnen Erfolg gehabt hatten. Doch der Versuch musste unternommen werden.
    Von früheren Experimenten besaß er noch ein eisernes Rad mit Handkurbel. Betätigte man die Kurbel, wurde es in Drehung versetzt – ein einfacher Mechanismus, den er sich zunutze machen wollte. Im Verlaufe der nächsten Stunde brachte er hölzerne Kopfstücke auf der Felge des Rades an und befestigte darüber eine Holzplatte. Drehte er nun an der Kurbel, gab j edes Kopfstück einen winzigen Stoß an die Platte weiter. Als er so weit war, fühlte er eine tiefe Befriedigung, denn jetzt brauchte er nur noch ein gläsernes Gefäß mit Quecksilber auf der Platte zu fixieren, und der Versuch konnte beginnen.
    Er nahm den bärenförmigen Alambic und gab eine kleine Menge flüssiges Hydrargyrium hinein. Dann betätigte er das Rad. Wie beabsichtigt, bekam der Alambic nun in regelmäßigen Abständen einen kleinen Anstoß. Das darin befindliche Quecksilber geriet in Bewegung.
    Lapidius unterbrach seine Tätigkeit. Er wollte wissenschaftlich vorgehen. Das hieß, er musste die Anordnung des Experiments genau festhalten. Und natürlich die Variationen. Gottlob hatte sein Büchlein den Ansturm der Vandalen überlebt, so dass er die entsprechenden Eintragungen vornehmen konnte. Er schrieb mit spitzer Feder:
    Pagina 20
    Experimenta ad principium hermeticumI. Variatio I –
    Sonnabend, 23. Aprilis AD 1547
    Außerdem brauchte er das Minutenglas. Er stellte es auf den Kopf und begann das Rad zu drehen. Gleichzeitig zählte er mit. Als die Minute verronnen war, hatte er achtundfünfzig Umdrehungen vorgenommen. Da auf der Felge des Rades insgesamt dreißig Kopfstücke saßen, hatte das Quecksilber in einer Minute achtundfünfzig mal dreißig, also eintausendsiebenhundertvierzig

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