Die Hitzkammer
Erzähle.«
»Kann ich Wasser haben?«
»Ja, natürlich. Ich hole rasch welches. Und den Weidenrindentrank dazu, warte.« Eilig holte er zwei Becher mit dem Versprochenen aus der Küche, dabei Marthe, die für ihren Braten gelobt werden wollte, nicht beachtend. Wieder zurück, flößte er Freyja beides ein. »Du kanntest also einmal jemanden, der so ähnlich aussah wie ich, wenn er Faxen machte, und der mit dir und deiner Mutter ein halbes Jahr lang fuhr«, setzte er das Gespräch wieder in Gang.
»Hans hieß er. Tat schön mit mir, aber wollt am Ende nur klauen. Na, egal, j edenfalls konnt er lustig blöd kucken, genau wie … oh, oh, entschuldige … ich meine, entschuldigt.«
Lapidius winkte ab. Sein Herz tat einen Freudensprung. Was machte es schon, dass sie ihn duzte, wo sie doch endlich einmal aus sich herausgegangen war, sich natürlich zeigte und wieder lebensfroher wirkte. »Sag ruhig ›du‹ zu mir, schließlich sind wir so etwas wie ein … äh … Zweierbund gegen das Böse, nicht wahr? Hans also konnte ›lustig blöd gucken‹, wie du sagst. Was hat er euch denn gestohlen?«
»Alles Geld, wohl über anderthalb Taler. Im Jahr 35 wars. Mutter war Hebamme und Kräuterfrau. Sie hat immer gesagt: ›Der Teufel ist überall, gerade da, wo keiner glaubt, dass er ist, ist er.‹ Und in Hans war er auch. Das wusste sie gleich vom ersten Tag an. Hatte es nur vergessen gehabt.«
»Das muss ja ganz schrecklich für euch gewesen sein.«
»Iwo. Mit so was muss man rechnen. Irgendwer haut einen immer übers Ohr, wenn man fährt. Man weiß bloß nicht, wanns passiert. Mutter tat nicht lange j ammern und hat gleich am Abend drauf ein Kind auf die Welt gezogen. In Stassfurt wars, östlich vom Harz. Da gings uns wieder gut, weil der Vater dankbar war. Überhaupt gings uns immer gut oder schlecht, aber nie lange gut. Mutter war die beste Hebamme, die ich je gesehen hab. Aber es gibt ne Menge weise Frauen, jedes Dorf hat eine, und deshalb tat Mutter auch Kräuter verkaufen, ›tausenderlei Kräutlein‹, hat sie immer gesagt, ›welche zum Kinderkriegen und welche zum Kinderwegmachen‹. Aber das mit den Kräutern, das kam erst später, als ich da war.«
»Freyja ist ein ungewöhnlicher Name«, sagte Lapidius. »Ja. Ist er. Hab ihn Erik zu verdanken.«
»Erik?«
»Ja. Mutter hat erzählt, im Jahr 26 war ein reicher Handelsherr nach Halberstadt gekommen. Der hatte eine Leibwache, und einer davon war Erik. Mutter war auch gerade in Halberstadt und hat ihn kennen gelernt. Erik war Schwede. Blond, groß, breite Schultern, und Mutter hat sich gleich in ihn verliebt. Aber es waren keine drei Tage um, da fuhr der Handelsherr weiter, und Erik musste natürlich mit. Einen Monat später hat Mutter gemerkt, dass sie was unterm Herzen trug. Sie hätt mich wegmachen können, mit Früchten vom Sadebaum, aber sie wollts nicht, weil sie Erik doch immer noch zugetan war. So bin ich auf die Welt gekommen.«
»Und was hat Erik nun mit deinem Namen zu tun?« Lapidius hatte bemerkt, dass sich noch ein Rest Brunnenwasser im Becher befand, und gab ihn seiner Patientin.
Freyj a schlürfte mit Genuss die letzten Tropfen. »Mutter hat Erik noch mal wiedergesehen, oben in Braunschweig wars. Da war ich schon ein halbes Jahr alt. Erik hat sich mächtig gefreut über mich und wollt wissen, wie mein Name war, und Mutter hat gesagt ›Frauke‹. Da hat er gelacht und gesagt, das bedeutet ja ›Frauchen‹ und dass er nicht will, dass ich so heiß. Er war mehr für ›Freyja‹. Das würd ›Herrin‹ auf Nordisch heißen, und das wär das Richtige für mich.«
»So also bist du zu deinem Namen gekommen.«
»Ja, und als Mutter tot war und ich allein den Wagen gefahren hab, sind eine Menge andrer Namen dazugekommen: Kräuterfreyj a, Truttnerfreyj a, Hexenfreyj a. «
Lapidius fuhr hoch. »Hexenfreyj a auch?«
»Ja, hab den Namen schon ewig. Weil ich auch das Lebenselixier verkauft hab, und weil ich gesagt hab, es hätt Zauberkräfte. Das Rezept ist noch von Mutter: Safran, Myrrhe, Aloe, Manna und Enzianwurzel sind drin.«
»Hm.« Lapidius hatte den letzten Sätzen seiner Patientin nicht mehr gelauscht. Er war noch bei den Namen davor. »Da scheint jemand in jüngster Zeit das Schimpfwort ›Hexenfreyja‹ sehr wörtlich genommen zu haben«, murmelte er. »Vielleicht sind die Verleumder deshalb auf dich gekommen.«
»Ja«, sagte Freyja, die während ihrer Erzählung ganz ruhig mit geschlossenen Augen dagelegen hatte.
»Ja«, sagte auch
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