Die Hitzkammer
Lapidius. Beide hingen ihren Gedanken nach. Schließlich meinte er: »Wie es der Zufall will, komme ich aus Braunschweig. Mein Vater war Gewürzhändler dort. Er betrieb ein Kontor am Burgplatz und hatte Verbindungen in alle Welt. Seine große Leidenschaft war das Geld – er konnte nie genug davon bekommen. Sein großer Kummer hingegen war die Sorge um seine Nachfolge, denn von den drei Brüdern, die ich hatte, starben alle schon im Kindesalter.«
»Ohhh … wie traurig.« Freyja klang ein wenig schläfrig.
»Sein ganzes Augenmerk galt deshalb mir. Auf mich setzte er seine ganzen Hoffnungen. Ich sollte dereinst seine Geschäfte übernehmen. Die Sache hatte nur einen Haken: Ich verspürte nicht die leiseste Lust, in seine Fußstapfen zu treten. Ich konnte mir nicht vorstellen, tagein, tagaus dem Mammon hinterherzuj agen, und ich sagte es ihm auch. Fortan hatte ich die Hölle daheim. Kein Tag verging, ohne dass Vater nicht auf mich einredete, kein Tag, an dem Mutter nicht weinte. Um des lieben Friedens willen trat ich schließlich eine Lehrzeit bei einem befreundeten Kaufherrn in Hannover an. Bei ihm zu arbeiten war wie eine Geißel für mich, denn in mir brannte die Sehnsucht nach der Wissenschaft. Ich wollte mich mit Astrologie und Philosophie beschäftigen und nicht mit Banken und Buchhalten. Dennoch beendete ich die Lehrzeit mit Erfolg und ging anschließend wieder nach Braunschweig in mein Elternhaus zurück.«
Lapidius unterbrach sich und betrachtete Freyja. Sie hielt noch immer die Augen geschlossen, und er fragte sich, ob sie eingeschlafen war. Das Reden tat ihm gut. Niemals zuvor hatte er so ausführlich über sich gesprochen.
»Es folgte die vielleicht schönste Zeit meiner Jugend. Vater zeigte sich zufrieden mit mir, und Mutter konnte wieder lachen. Doch je mehr Monate ins Land gingen, desto unruhiger wurde ich. Ich hielt es nicht mehr aus hinter dem Schreibpult; es zog mich fort, ich musste studieren. Und diesmal wollte ich mich nicht davon abbringen lassen.
Als ich Vater mein Vorhaben eröffnete, hing der Haussegen sofort wieder schief. Er fluchte, tobte, flehte, ja er drohte sogar allen Ernstes, mich zu enterben. Es war die schlimmste Strafe, die er sich vorstellen konnte. Armer Vater! Er ahnte nicht, wie egal mir das war.
Ich zählte einundzwanzig Jahre, als ich Braunschweig verließ, nur auf mein Glück vertrauend. Vorher hatte Mutter mir noch unter Tränen ein paar Taler in die Tasche gesteckt, als äußersten Notnagel. Ich wandte mich nach Thüringen, ging zuerst nach Erfurt, später nach Padua ins Oberitalienische und viel später nach Toledo.
Zwischen den Semestern legte ich immer wieder lange Pausen ein, um mein Brot zu verdienen und Geld für das Studium zurückzulegen. Auf diese Weise lernte ich auch Conradus Magnus kennen. In Leon war es, einer Stadt in Nordspanien. Er suchte damals einen Gehilfen für sein Laboratorium, und ich hatte das Glück, dass er mich nahm. Er war es auch, der mich in die Alchemie einwies und meine Leidenschaft für diese Wissenschaft weckte. Conradus war damals noch an Jahren jung, aber seine Erfolge hatten ihm schon den Beinamen ›Magnus‹, das heißt ›der Große‹, eingebracht.
Nächtelang experimentierten wir zusammen und diskutierten über die hermetischen Prinzipien, die Transmutation, den Stein der Weisen, über Spagyrik, Kabbala, Gnosis und vieles mehr.
Er wurde mit der Zeit zu einem brüderlichen Freund, dem ich mich in j eder Hinsicht anvertrauen konnte. So hatte er auch Verständnis dafür, als ich eines Tages sagte, ich wolle in den Süden gehen, nach Toledo, um dort weitere Studien zu treiben. Alles, was er daraufhin erwiderte, war: ›Ich bin j a da. ‹
Und ich ging. Unerfahren wie ich war, hielt ich mit meinem Wissen nicht hinter dem Berg, im Gegenteil: Ich fürchte, ich prahlte das eine oder andere Mal gehörig damit. Umso mehr wunderte ich mich, als die Häscher der Inquisition mich prompt verhafteten. Ich wusste damals noch nicht, dass man als Alchemist immer mit einem Bein im Kerker steht, weil die Kirche ständig in Sorge ist, man könne die göttliche Allwissenheit anzweifeln. Nun, ich will dir nichts vorj ammern, nur so viel: Ich habe die Torturen der Folter am eigenen Leibe erfahren, weiß also, was du durchlitten hast. Wie es mir gelang, der Inquisition zu entfliehen, ist eine eigene Geschichte. Erspare mir die Einzelheiten. Jedenfalls glückte es mir.
Ich gelangte nach Toledo und studierte dort weitere Jahre. Als ich glaubte,
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