Die Hitzkammer
mein Wissen genügend vervollkommnet zu haben, fasste ich den Entschluss, in meine Vaterstadt zurückzukehren. Vorher allerdings wollte ich Conradus Magnus einen Besuch abstatten, schließlich musste ich meinem Lehrmeister noch einmal Lebewohl sagen. Auf der Reise nach Leon ist es dann passiert: Ich geriet in schlechte Gesellschaft und wurde mit der Syphilis geschlagen. Ich merkte es zunächst nicht, sondern frönte weiter dem leichten Leben, zwei ganze Monate lang – vielleicht verständlich nach all den Jahren klausnerischen Lernens. Irgendwann j edoch war ich die Nichtsnutzigkeit leid, und ich fand endlich den Weg zurück zu Conradus.
Als ich über die Schwelle seines Hauses trat, sah ich, wie seine Augen sich vor Schreck weiteten. Er hatte sofort die schorfigen, nässenden Pusteln erkannt, die für ein fortgeschrittenes Stadium der Syphilis typisch sind. So schonend wie möglich brachte er mir bei, welch tödliche Seuche mich angefallen hatte. Es war mir, als hätte jemand den Boden unter meinen Füßen fortgezogen. Ich fühlte mich so arm und schwach wie der Ärmste und Schwächste auf dieser Welt. Aber Conradus pflegte mich, als wäre ich sein eigener Sohn. Als ich ihm dankte, sagte er abermals nur den Satz ›Ich bin ja da‹. Drei Wochen lag ich darnieder und durchlebte die Hölle in der Hitzkammer. Aber ich stand wieder auf und wurde gesund.«
»Das hast du schon erzählt.«
»Wie?« Lapidius fuhr zusammen. Freyja war die ganze Zeit so still gewesen, dass er angenommen hatte, sie wäre eingeschlummert. »Ja, du hast Recht, ich erinnere mich. Nun, viel mehr ist auch nicht zu berichten. Als ich mich von der Krankheit gänzlich erholt hatte, nahm ich schweren Herzens Abschied von Conradus, denn ich wusste, ich würde ihn niemals wiedersehen. ›Ich gehe nun‹, sagte ich, und er antwortete mir zum dritten Mal ›Ich bin ja da‹. Ich denke, er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass er immer an meiner Seite ist, nicht im körperlichen, sondern vielmehr im geistigen Sinne. Und in der Tat ist es so, dass der Gedanke an ihn mir Zuversicht verleiht, besonders in der letzten Zeit.
Der Rest ist schnell erzählt. Wieder in Braunschweig, erfuhr ich vom Tod meines Vaters. Er hatte mich tatsächlich enterbt, und ich würde heute mittellos dastehen, wenn nicht meine Mutter gewesen wäre. Sie entstammte einer reichen Augsburger Kaufmannsfamilie und hatte eigenen Besitz. Als sie zwei Jahre später starb, hinterließ sie mir alles. Ich nahm das Geld und verließ meine Vaterstadt. Ich wollte nichts mehr mit dem Gewürzhandel zu tun haben, sondern nur noch meiner Wissenschaft dienen. Ich ließ mich in mehreren Städten nieder, musste aber jedes Mal feststellen, dass Alchemisten alles andere als wohlgelitten sind. Ja, es ist leider so: Wir Jünger der Geheimlehre leben gefährlich. Schließlich, vor etwa einem halben Jahr, kam ich nach Kirchrode. Die Stadt strahlte Ruhe und Frieden aus, und man war mir beim Finden eines Hauses behilflich. Ich zog ein und begann mit meinen Forschungen, ohne zu ahnen, was alles sich in Bälde zutragen würde … Siehst du, Freyj a, das ist meine ganze Geschichte. Freyj a?«
Nun schlief sie doch.
Lapidius lächelte. Er erhob sich von der Truhe und blickte auf seine Patientin herab. Im gelben Licht des Öllämpchens glitzerten unzählige Schweißtröpfchen auf ihrem kahlen Kopf. Sie musste noch diesen und sechs weitere Tage schwitzen, bevor er sie aus den Klauen der Kur befreien durfte. Sechs Tage. Für sie eine kleine Ewigkeit; für ihn nur eine kurze Spanne Zeit – vielleicht zu kurz, um die Filii Satani dingfest zu machen. Er ertappte sich dabei, wie er ein Gebet für sie murmelte:
»Gottvater im Himmel, es heißt in der Schrift:›Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie‹, doch mir will scheinen,
die Kirchroder kennen diese
Jesusworte nicht.
Gib ihnen die Erkenntnis,
die sie besonnen macht,
gib mir die Kraft, die Meuchler zu fassen, und
gib vor allem, dass Freyja
die Syphilis besiegt.
Amen. «
Er hatte seit Jahren nicht mehr gebetet und war erstaunt über sich selbst. Die Worte an seinen Schöpfer hatten ihm Trost und Zuversicht gegeben. Leise schloss er die Türklappe und stieg hinab ins Erdgeschoss.
Marthes Braten wartete.
FÜNFZEHNTER
BEHANDLUNGSTAG
Nee, Herr, das geht nich. So lassich Euch nich raus. Geschneit hats die Nacht, wie wenn der Winter noch mal von vorn anfangen wollt. Ihr müsst was Warmes untern Mantel drunterziehen, nich nur
Weitere Kostenlose Bücher