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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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GottimHimmelhabtlhrmicherschreckt!«        Die Magd fasste sich, nach Luft japsend, an den Busen.
    »Tut mir Leid, Marthe. Aber es riecht wirklich verführerisch. Hast du die Speise auch nach den spagyrischen Erfordernissen zubereitet?«
    »Hä … Herr?«
    »Ich habe es dir doch schon häufig erklärt: Am bekömmlichsten ist Nahrung, wenn sie nach den Vorschriften der Spagyrik hergerichtet wird – einer Tochterwissenschaft der Alchemie. Schweinerner Braten muss danach so behandelt werden, dass er sämtlichen Saft behält, was ein Anbraten unter starker Hitze bedingt und anschließendes Garen bei geringerer Wärme. Unterbrochen von mehreren Güssen mit blutwarmem Honigwasser.«
    »Ja, ja, Herr.« Marthe lutschte sich geräuschvoll einen Finger ab.
    »Hast du die Gewürze für die Marinade auch gemörsert?« »Ja, Herr. Un Pfeffer habich massich genommen.«
    »Schön.« Lapidius wusste, dass die Körner der Molukken nicht zu stark vertreten sein durften im Zusammenspiel der Kräfte, da ihr Aroma sonst Nelken, Kümmel, Koriander und Rosmarin überdeckte und für Diskrasie sorgte, aber er war, wie so viele seines Standes, den scharfen Samenfrüchten verfallen. »Dann ist der Spagyrik ja Genüge getan.« »Nennts, wie Ihr wollt, Herr, ich nenns Braten. Wollt Ihr mal kosten?«
    »Nein, ich werde die Speise später probieren, nachdem ich mit Freyja gesprochen habe.« Unter Marthes Lamentieren, der Braten würde kalt werden, und es wäre doch schade darum, stieg er die Treppe in den Oberstock empor und sperrte die Türklappe auf. Seine Patientin war wach, wie er sofort sah, und hatte Tränen in den Augen. »Hast du wieder Schmerzen?«, fragte er teilnahmsvoll.
    »Nein, es geht.«
    »Was fehlt dir dann? Ach …« Neben ihrer Schulter hatte er mehrere blonde Büschel im Stroh entdeckt – die letzten Haare, die sie noch gehabt hatte. Das also war der Grund für ihre Verzweiflung. Er nahm die Haare und sagte betont forsch: »Ich werde sie aufheben, genauso wie ich die anderen Strähnen für dich verwahrt habe.«
    Sie wischte sich über die Augen. »Wieso …?«
    »Nur für den Fall, dass dein Haar nicht nachwächst, aber glaube mir: Es wird schon wieder sprießen. Und wenn nicht, können wir immer noch eine Perücke daraus machen lassen. Niemand wird dann merken, dass du kahlköpfig bist.«
    »Meine Zähne«, stöhnte sie leise.
    »Deine Zähne? Lass sehen.« Er nahm das Öllämpchen, hieß sie den Mund öffnen und leuchtete hinein. Die obere und untere Reihe sorgsam befühlend, brummte er. »Ja, es ist so. Die Syphilis fordert weiteren Tribut. Drei deiner unteren Schneidezähne sind sehr locker. Ich werde sie extrahieren, aber mach dir keine Sorgen: Es wird kaum bluten. Ich weiß, es ist nicht schön, Zähne zu verlieren, aber bei dir sind es nur untere, nicht die oberen, die man beim Lachen sieht, und auch keine Backenzähne …«
    Während er beruhigend auf sie einredete, zog er die Beißwerkzeuge mit Daumen und Zeigefinger heraus. Es kostete ihn einige Mühe, und er wunderte sich einmal mehr über Freyjas Tapferkeit. »Ich werde sie ebenfalls für dich aufheben. Hat es sehr wehgetan?«
    »Nein.« »Fühlst du dich jetzt besser?«
    »Ja.«
    »Es gibt Schlimmeres als ausgefallene Zähne. Bei meiner eigenen Syphilisbehandlung verlor ich nicht weniger als zwölf. Da ich vorher schon eine ganze Reihe eingebüßt hatte, blieben mir nur die oberen Schneidezähne, zwei Eckzähne unten und drei Backenzähne. Nicht viel, aber es reicht, um Nahrung zu zerkleinern.«
    Lapidius zog sich die Lippen auseinander, damit Freyja einen Blick auf die Reste seines Gebisses werfen konnte. Er hatte so etwas noch nie getan, sich vielmehr stets darum bemüht, nur zu lächeln und keinesfalls zu lachen, doch heute wollte er eine Ausnahme machen. Das Grinsen, das er dieserart künstlich erzeugte, sah so grimassenhaft-komisch aus, dass Freyj a, trotz ihrer Gemütsverfassung, kichern musste.
    Lapidius freute sich, sie zum Lachen gebracht zu haben. »Ich habe dich noch nie lustig gesehen.«
    Sie kicherte weiter, endlich einmal Schmerz, Kummer und Sorgen vergessend. »Machs noch mal!«
    Er beeilte sich, ihrer Bitte nachzukommen, und bemerkte kaum, dass sie ihn zum ersten Mal geduzt hatte.
    Abermals löste seine Grimasse Heiterkeit aus.
    »Lachen ist gesund, heißt es. Ich müsste öfter für Kurzweil sorgen, dann ginge es dir besser.«
    »Ich kannte mal einen, der konnt genauso Faxen ziehen. Drei Monate fuhr er mit Mutter und mir.«
    »Ah ja?

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