Die Hitzkammer
das dünne Wams.«
Lapidius ging nicht auf Marthe ein. »Hast du Freyj a heute Morgen schon versorgt?«
»Ja, habich. Sie is ganz guter Dinge. Hat nach Euch gefracht, die Arme. Wie lang musssie denn noch oben schwitzen?«
»Bis die Kur beendet ist.« Lapidius wollte nicht näher auf die Frage eingehen. Je weniger die Magd wusste, desto weniger konnte sie ausplaudern. »Ich mache mich j etzt auf den Weg.«
»Un Ihr wollt nich sagen, wohin? Wirklich nich?«
»Gib Freyja vorsorglich etwas von dem Weidenrindentrank und sorge dafür, dass sie auch sonst genügend Flüssigkeit zu sich nimmt. Überprüfe die Dicke der Quecksilberschmierung. Und behandle ihre Lippen nochmals mit Kalkpulver. Mir ist gestern aufgefallen, dass die Geschwüre wieder aufgegangen sind.«
»Ja, Herr.«
»Und pass auf, dass keine Spinnen in der Kammer herumkriechen.«
»Ja, Herr, wassis mit Essen?«
»Wenn ich zurück bin, nehme ich etwas kalten Braten. Trage also nicht gleich den ganzen Rest zur Mutter.«
»Nein, Herr.«
»Gut, dann gehe ich.«
Lapidius lenkte seine Schritte unverzüglich in die Schellengasse, die zum Osttor führte. Hier verließ er die Stadt und ging bergauf in Richtung Zirbelhöh. Er tat dies nicht ohne Absicht, denn er hatte sich überlegt, es könne von Nutzen sein, dem alten Holm einen Besuch abzustatten. Wieder nahm er die Abkürzung durch den Fichtenwald und hatte sich alsbald, wie schon beim ersten Mal, verlaufen. Er verwünschte seinen schlechten Orientierungssinn und begann zu rufen: »Holm! Holm, hörst du mich? Hooooolm! «
Es dauerte nicht lange, da teilte sich das Unterholz, und der Alte erschien tatsächlich. Lapidius fühlte Erleichterung, zumal Holm einigermaßen nüchtern schien. Seine Triefaugen wirkten an diesem Tag nicht ganz so wässrig, und seine Haltung war frei von jeglichem Schwanken. »Ich wollte einmal nach dir sehen«, sagte Lapidius näher tretend, »wir kennen uns ja.«
»Was? Ich kenn Euch nich, wills, hupps … auch gar nich.« Wie allen dem Alkohol Verfallenen ging es auch Holm im nüchternen Zustand miserabel, was sich entsprechend auf seine Laune niederschlug. »Wills auch gar nich«, wiederholte er und wollte wieder im Wald verschwinden.
»Halt, natürlich kennst du mich! Ich bin Magister Lapidius.« Lapidius hielt den Alten an einem Zipfel seines löchrigen Umhangs fest. »Ich war vor ein paar Tagen schon einmal hier. Wir trafen uns und redeten, allerdings warst du ziemlich …« Er verstummte, denn er wollte Holm nicht zu nahe treten.
»Ich kenn Euch nich, verdammich!«
Lapidius hielt den Alten noch immer fest. Wieso erkannte der ihn nicht? War er so sturzbetrunken gewesen? Nein, es musste etwas anderes sein. Richtig. Die Kleidung! Er, Lapidius, hatte an jenem warmen Tag seine alten Sachen aus der Spanienzeit getragen, und heute, da es so bitterkalt war, hatte er standesgemäßes Tuch an. »Erkennst du denn nicht meine Kappe? Ich trage sie immer, auch neulich hatte ich sie auf. Wir saßen vor deiner Hütte, und ich bat dich um Wasser, aber du hattest keines. Dann schliefst du ein, und ich …« »Hui, ja, jetzt weiß ichs wieder, Kumpel! Siehst ganz anners aus. Bist zu Geld gekommen, wie? Na, der olle Holm, hupps … gönnts dir. Mann, habichn Brand, komm, wir gehn ins Warme.«
Die Hütte des Alten sah ganz so aus, wie Lapidius sie in Erinnerung hatte. Eine armselige Behausung, windschief, zugig, undicht. Davor lag noch immer der umgestürzte Baumstamm.
»Komm rein, hupps …«
»Ich würde lieber draußen sitzen.«
»Wieso? Drinnen isses wärmer, habn Feuerchen an, aber von mir aus.«
»Danke.« Lapidius setzte sich auf den Stamm.
»Wart mal.« Holm verschwand in der Hütte. Eine Weile verging. Lapidius war schon drauf und dran, nach dem Alten zu sehen, da erschien er wieder, mit kreuzunglücklichem Gesicht. »Irgendwo hatt ich doch … willn Besen fressen, wenn sie nich mehr da is … aber wo issie?«
»Suchst du etwas?«
»Ja, Kumpel, tu ich.« Holm begann sich mit verzweifelter Gründlichkeit vor der Hütte umzusehen. Er guckte hinter den Baumstamm, spähte in eine alte Regentonne, untersuchte den Waldrand. Seine Bewegungen wurden immer fahriger. Schließlich stieß er einen Schrei der Erleichterung aus: »Da issie ja, ich wusst, dass noch was drin is!« Aus dichtem Farnkraut zog er eine Bierkanne hervor, setzte sie an und nahm ein paar tiefe Züge. Er tat es mit geschlossenen Augen, den Kopf weit im Nacken. Sein Adamsapfel wanderte dabei emsig auf und ab.
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