Die Hochzeit meiner besten Freundin
erinnern, was genau es bloß war, das mich überhaupt angezogen hat.
Nichts.
Nicht das Geringste.
Beängstigend, wirklich.
Er macht als Erster den Mund auf.
»Du siehst gut aus, Annabelle.«
»Danke«, erwidere ich und wende das Gesicht ab, um dem intensiven Knoblauchdunst zu entgehen.
»Genau genommen siehst du nicht nur gut aus. Du siehst klasse aus.«
»Danke.«
»Es ist wirklich schön, dich wiederzusehen.«
»Danke.«
»Bist du schon lange zurück?«
»Nein.« Wie wär’s mit einem kurzen Applaus für ein neues Wort?
»Und, wie war der Ferne Osten?« Er schaufelt eine Gabel voll Essen in seinen weit aufgerissenen Mund.
»Sehr warm.« Oho, zwei Worte, fast schon ein Satz. Annabelle, die letzte der ganz großen Alleinunterhalterinnen.
Gut, dass Simon im Dauerreden seinem Vaterland alle Ehre macht. Er liebt den Klang seiner eigenen Stimme genauso sehr wie ich einen großen Schokoriegel.
Ein Gespräch mit ihm ist in etwa wie Fernsehen. Man muss nur den richtigen Knopf drücken, um ihn anzuschalten, dann kann man sich zurücklehnen und ihm das Reden überlassen.
Als meine Mutter endlich an den Tisch zurückkehrt, nachdem sie ungefähr fünfmal auf Toilette war und ich in dieser Pinkelpause ungefähr zwei Silben gesagt habe, während Simon einen Monolog hielt, beschließe ich, dass nun ich ein Recht darauf habe, mich zwischen den WC-Becken zu verstecken.
»Ich muss nur mal eben _ ihr wisst schon _ für kleine Mädchen«, verkünde ich, als Mutter sich zurück auf ihren Sitz gleiten lässt, uns wohlwollend zulächelt und zum vierzehnten Mal zwitschert: »Ist das nicht nett?«
»Bin gleich wieder da.«
Von wegen gleich. Ich muss eine Auszeit nehmen, bevor der Druck, den ich in meiner linken Schläfe spüre, explodiert.
Wie lange kann ich mich wohl auf dem Klo verstecken, ohne dass sie denken, ich hätte Verstopfung?
Und wenn schon! Soll Simon doch annehmen, ich hätte die letzte Viertelstunde mit Blähungen gekämpft. Man weiß ja nie, vielleicht lässt er dann von mir ab, was wirklich wundervoll wäre. Ich kann nicht glauben, dass er nach all dieser Zeit und nach meinem Verschwinden ohne den leisesten Blick zurück überhaupt noch an mir interessiert ist.
Ich jedenfalls bin nicht an ihm interessiert.
Und ich bin nicht an der Ruck-Zuck-Lösung interessiert, die meine Mutter für meinen Single-Status parat hat. Ich bin ganz zufrieden so, wie es ist, danke. Ich habe absolut kein Verlangen danach, mich durch ein Stück Papier und gebrochene Versprechen an einen anderen Menschen zu fesseln.
Ich dachte immer, Bindungsängste wären ein Problem der Männer.
Liegt es an den Umständen oder einfach an der Tatsache, dass die einzigen Bindungen, zu denen ich je Gelegenheit hatte, mich erst recht davon abgebracht haben?
Simon zum Beispiel.
Als er während Mutters sechstem Klogang endlich die Gelegenheit beim Schopf packt, mich für den nächsten Tag zum Mittagessen einzuladen, »um sich wieder näher zu kommen«, lehne ich höflich ab und begründe das mit einer früheren Verabredung. Doch so leicht entkomme ich nicht. Bis das Essen zu Ende ist, hat Mutter uns beide dazu eingeladen, uns kommenden Freitag einem Opernbesuch anzuschließen, nächste Woche wieder um die gleiche Zeit zu Mittag zu essen und zur Premierenparty einer neuen Prime-Time-TV-Show zu kommen, an der sie irgendwie beteiligt ist.
Sorgfältig notiere ich alle diese Termine in einem Notizbuch, das Mutter ganz zufällig dabei hatte und mir geben konnte, da sie es nicht braucht. Mein Dank für dieses Geschenk fällt nur deshalb so echt aus, weil ich jetzt sicherstellen kann, dass ich bei jeder dieser Gelegenheiten außer Landes, unter der Dusche oder mit einer Migräne bzw. einem heißen Liebhaber im Bett sein werde.
»Also wirklich, war das nicht ein wundervoller Zufall, Simon so unerwartet zu treffen?«, zwitschert Mutter glücklich, nachdem das Essen endlich vorbei ist und wir zurück zu Nickys Wohnung fahren. Es war weder wundervoll noch ein Zufall, doch ich denke, es ist besser, den Mund zu halten.
»Und was genau hast du jetzt vor, nachdem du dich herabgelassen hast zurückzukommen?«, fragt sie anschließend und sucht sich damit ein weniger heikles Nörgelthema.
»Och, ich dachte, ich meld mich arbeitslos, hänge ein bisschen rum, besorg mir ’n paar Drogen, gehe hier und da auf einen Rave und solche Sachen.«
Meine Mutter wird vor Entrüstung knallrot und pocht mit ihren perfekt manikürten roten Nägeln vor Erregung gegen
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