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Die Hoehle der Traenen

Die Hoehle der Traenen

Titel: Die Hoehle der Traenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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Einsatzes. Es war ein typisches Tagesgespräch in der Tiefe. Nun, da die Nacht vorbei war, wirkte die Tiefe beinahe gewöhnlich. Aber eben nicht ganz. Die hohen, rot geäderten Sandsteinwände, von denen sie umschlossen wurden, erinnerten immer daran, dass Geheimhaltung vonnöten war, dass man über das hier Geschehene Schweigen bewahren musste. Es hatte sie Tage gekostet, hierherzukommen, und der Weg war gefährlich gewesen, doch Rowan würde Flax zurückführen.
    »Nehmt die Pferde«, sagte Ash zu Flax. »Um unser aller willen, bringt sie Bramble unbeschadet zurück!«
    Flax grinste bei dieser Bemerkung, doch er schien nach wie vor unsicher. »Bist du sicher, dass ich nicht mit dir gehen kann?«
    Ash musste an das Versprechen denken, das er gegenüber
Zel abgelegt hatte, nämlich auf Flax so aufzupassen, als wäre dieser sein eigener Bruder. Er fühlte sich schuldig, kam dann aber zu dem Schluss, dass, wenn Flax tatsächlich sein Bruder wäre, er genau das Gleiche tun würde, ihn also seinen Eltern anvertraut hätte.
    »Mein Vater möchte, dass du meine Mutter kennen lernst. Sie ist Sänger wie du – besser noch als du!« Er reizte Flax bewusst zum Widerspruch, damit er sich sträubte, doch stattdessen hellte sich das Gesicht des Jungen auf.
    »Sie wird mich unterrichten? Ganz bestimmt?«
    »Ganz bestimmt«, bestätigte Ash. Dabei hatte er einen bitteren Geschmack im Mund. Ihn unterrichten und frohlocken. Er verdrängte den Gedanken wieder, verdrängte alle Gedanken bis auf jenen wunderbaren, dass der Fluss ihn erwartete und sich nach ihm sehnte. Nach ihm . Nicht nach Flax oder seinem Vater oder irgendeinem anderen während dieser langen, langen Jahre. Ihm wurde bewusst, wie verletzlich sein Vater war, dort draußen in der Welt, in der es mörderische Geister und unbekannte Schrecken gab. »Und … pass auch auf meinen Vater auf.«
    Flax nickte, als hätten die Götter ihm eine Aufgabe übertragen. Was diese Heldenverehrung betraf, würde er noch etwas unternehmen müssen, dachte Ash, während Skink ihm eine Portion frischgekochten Fisch reichte. Ash aß hungrig, ohne dass er den Geschmack wahrnahm, und ging dann auf Rowan zu.
    »Sanctuary«, sinnierte Rowan, als Ash auf ihn zukam. »Ich kenne den Ort. Es heißt, er sei verflucht. Es gibt da ein Lied …«
    »Ja«, sagte Ash und war selbst davon überrascht, dass er das Bedürfnis verspürte, zärtlich zu seinem Vater zu sein. Dieser war es nicht gewohnt, zu kämpfen, Angst zu haben oder sich mit etwas anderem herumzuschlagen als einer schwierigen
Melodie. »Ich kenne das Lied. Aber es ist bloß unser Treff – punkt. Geh so schnell dorthin, wie du kannst.«
    Rowan nickte und nahm ihn dann in die Arme. Erst als Ash in die Höhle eilte, um dort den Lotsen zu treffen, ging ihm auf, dass er seinem Vater zum ersten Mal überhaupt eine direkte Anweisung gegeben hatte. Dabei hatte es sich so natürlich angefühlt. Das, so schien es, war sein Handwerk – Handeln.
    Genau das erzählte er dem Lotsen, während sie den Weg in die innere Höhle zurückgingen, dorthin, wo Ash erst am Vorabend hinuntergeklettert war.
    »Handeln und Musik«, stimmte ihm der Alte zu. »Das ist unser Handwerk, beides miteinander zu verschmelzen.« Er grinste. »Und das zu tun, was man uns aufträgt, befürchte ich. Wir sind Gefolgsmänner, mein Junge, keine Anführer.«
    Diese Bemerkung musste Ash erst einmal verdauen. Sie brachte eine misstönende Saite in ihm zum Klingen, doch er wusste, dass sie der Wahrheit entsprach. Er war immer gefolgt, erst seinen Eltern, dann Doronit, Martine und Safred. Selbst Bramble, nur halb bei Bewusstsein, hatte die Entscheidungen getroffen. Und nun der Fluss.
    »Wenn du sie überleben willst«, sagte der Lotse, »dann musst du dich selbst erkennen.«
    »So etwas sagen alte Leute«, blaffte Ash ihn an, von plötzlicher Ungeduld ergriffen.
    Der Lotse lachte. »Jawohl, so ist es! So ist es wahrhaftig. Tja, mein Junge, vielleicht kennst du dich ja schon zu gut. Vielleicht musst du dich stattdessen in ihr verlieren.«
    Ash grinste. Mit einem Mal war er davon überzeugt, dass er sich so freimütig äußern konnte, wie er wollte. Irgendwie fühlte er sich in Gesellschaft des Lotsen so entspannt wie noch mit niemandem zuvor. »Rätselhaft«, zog er ihn auf. »Ganz wie eine alte Sage aus den Erzählungen.«

    Der Alte lächelte und klopfte ihm mit dem Handrücken auf die Schulter, so wie kleine Jungen es untereinander taten. »Wer als Erster am Wasser ist«, forderte er

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