Die Hoehle der Traenen
Asgarn gehen lassen, während du zu deinem kostbaren See gegangen bist, nicht wahr? Du hast ihn gehen lassen, und er wurde getötet!«
»Asgarn …« Baluch holte Luft, während sich sein Blick verhärtete. »Ich wusste es. Ich wusste , dass er es war, aber ich konnte es nie beweisen. Ich habe nicht einmal die Leiche gefunden.«
»Genug jetzt!«, griff Ash energisch ein. »Über die Vergangenheit können wir später noch sprechen. Jetzt haben wir eine Aufgabe zu lösen.« Er wandte sich Bramble zu. »Bereite deine Erinnerung vor«, forderte er sie sanft auf. Seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er irgendwie an Autorität gewonnen.
Sie wusste, dass mehr als nur ihre Erinnerung nötig sein würde. Das Verlangen, von dem er gesprochen hatte, würde nötig sein. Die Götter wussten, dass sie ein solches hatte, aber sie würde es mit Ash teilen müssen, damit der Zauberspruch funktionierte. Sie wandte sich einen Moment ab. Ihre Wangen brannten. Wie viel war sie willens zu geben, um Saker aufzuhalten? All ihre Sicherheit war verschwunden, ihr schützender Schild war gesenkt. Nun schien es, als müsse sie auch ihr Innerstes und ihre Würde opfern.
Maryrose, dachte sie. Das hier ist für dich.
Sie drehte sich wieder um. Nun war sie gefasst, und sie reichte Ash eine Hand, während ihre andere auf der vertrauten Krümmung der Brosche ruhte, Asas Brosche, Actons
Brosche. Reds, nachdem dieser das Messer in Actons Rücken gestoßen hatte. Diese Erinnerung brachte die Gefühlsaufwallung, die sie benötigte, die sie alle benötigten, um ihn zurückzuholen: Verlangen, Kummer … Liebe. Ash spürte, wie Bramble diese Gefühle durchströmten, und überrascht schluckte er und begann mit dem Singen, ein wenig schneller, ein wenig eindringlicher als zuvor, die rauen Noten steigend, immer weiter steigend, die Worte ein wenig anders, der Rhythmus verändert, passte er sich ihrer Atmung an, während sie an Acton dachte, sich an ihn erinnerte, ihn so sehr brauchte , wie das Herz Blut braucht, wie der Webstuhl den Faden braucht, um vollständig zu sein.
Und dieses Mal war es ihre Hand, in die Ash schnitt, ihr Blut, das über Actons bleiche Knochen spritzte. Sie begrüßte den Schmerz, weil er leichter zu ertragen war als Actons Verlust, weil es leichter war, an ihn zu denken als an die Leere, die er ausgefüllt hatte. Erinnerungen an sein Leben überfluteten sie, und es war, als wäre sie er, wie auch Baluch, wie auch Asa. Es war, als sähe sie die Welt kurz durch seine Augen, so wie sie sie durch ihrer aller Augen gesehen hatte. Als sie den Berg bestiegen, um Frieden zu finden, war sie sowohl Baluch als auch Acton. Als sie das Boot den Fluss hinab nach Turvite lenkten, war sie sowohl Steuermann als auch Lotse, beide frohlockend. Als sie gegen die Einwohner von River Bluff kämpften, schwang sie zwei Schwerter, und beide töteten … Als sie auf dem Berg stand und zuschaute, wie er in seinen Tod kletterte, war sie auch er und sah ein dunkelhaariges, ungezähmtes Mädchen an, spürte, wie sein Herz dabei einen Sprung machte …
Komm zurück von jenseits des Todes, drängte sie mit ihrem Willen in die Dunkelheit hinein. Wir brauchen dich. Komm zurück. Ich brauche dich.
Sie spürte, dass etwas geschah und hörte auch etwas,
ein körperloses Flüstern, einen körperlosen Singsang ohne Worte, ein hohes Heulen. Ihr wurde schlecht, und plötzlich dachte sie, das hier ist unnatürlich. Falsch. Die Götter hatten sie verlassen, als wollten sie nichts mehr mit ihr zu tun haben, obwohl sie sie doch für genau diese Aufgabe hierher geschickt hatten.
Sie hörte, dass Medric plötzlich schluckte und Baluch zischend seinen Atem ausstieß, doch sie konnte ihren Blick nicht von den Knochen abwenden, über denen sich zögernd eine Dunstwolke bildete.
Es fiel ihr schwer, Atem zu schöpfen. Am Rande ihres Sichtfelds formten sich Umrisse, blasse Schatten von sich krümmenden Körpern. Sie zwang sich dazu, diese nicht anzuschauen und konzentrierte sich stattdessen auf Acton, Acton. Komm, ich brauche dich.
Ash zog sie zurück, nach wie vor singend, aber sie behielt die Brosche fest in der Hand, während er ihr auf die Beine half. Er zerrte sie ein paar Schritte zurück, sodass sie mehr sehen konnte, bis ihrer beider Beine gegen eine Felssäule stießen. Und nun standen sie da und starrten den Geist an, der vor ihnen stand, weiß und klar wie eine Skulptur aus Eis. Es waren keine Umrisse mehr in der Dunkelheit, keine sich windenden Formen,
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