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Die Hoehle der Traenen

Die Hoehle der Traenen

Titel: Die Hoehle der Traenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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um, doch die anderen wandten sich beschämt von uns ab, weinend oder mit versteinertem Gesicht, und da wussten wir, dass wir so gut wie tot waren.
    Wir hatten die Geschichten gehört. Während der Nachtwache, beim Halbmond, erzählen Matrosen gerne die Geschichten von Windgeistern. Über das Abkommen, das wer
weiß vor wie langer Zeit abgeschlossen wurde, als Windgeister und Menschen eine Übereinkunft trafen – wenn die Windgeister in den großen Weiten der See auf ein Schiff stießen, durften sie eine einzelne Seele nehmen, aber das Schiff und den Rest der Besatzung mussten sie in Ruhe lassen.
    Für die Schiffseigner, die Matrosen und die Fischer war es eine gute Vereinbarung. Für jeden, außer den, den man den Geistern vorwarf. Den Matrosen, der zuletzt an Bord angeheuert hatte.
    »Zuletzt an Bord, als Erster von Bord«, sagte die Kapitänin. Sie war bekümmert, während sie es sagte, aber sie meinte es ernst. »Wer von euch kam als Letzte an Bord?«
    »Ich«, sagte Rumer.
    »Ich«, rief ich im gleichen Moment.
    Die Kapitänin war zutiefst überrascht. Sogar die Geister machten einen verwirrten Eindruck. Ich schaute nicht zu Rumer, und sie schaute nicht zu mir. Es gab nichts zu sagen. Aber wir hielten einander fest an der Hand, ganz so wie kurz vor einer Vorführung oder danach, wenn wir unsere Verbeugungen machten.
    »Beide …«, jaulte der Windgeist mit gehässiger, zischender Stimme.
    »Nein! Ich war die Letzte.« Die Stimme erscholl von dem Hakendeck unter uns. Wir wirbelten herum, und da stand Mama, die ihre Angelrute ablegte, als wäre sie aus Gold; sie nickte ihrer Partnerin und den anderen Fischerinnen zu und kletterte die Kajütenleiter vom Hakendeck herauf, um sich neben uns zu stellen.
    »Stimmt nicht«, sagten Rumer und ich gleichzeitig mit einer Stimme.
    »Wohl wahr«, sagte Mama. Sie mied unseren Blick, nachdem sie uns einen einzigen, warnenden zugeworfen hatte. Es
war ein Blick, den wir kannten. So hatte sie uns in unserer Kindheit angesehen, nachdem sie uns befohlen hatte, etwas zu tun, das wir nicht tun wollten. Dieser Blick bedeutete: »Tut, was ich sage, oder ihr werdet unter den Folgen leiden müssen.«
    Ich war innerlich aufgewühlt und schwitzte wie ein Schmied. Ich wusste nicht, was ich mir wünschen sollte. Worauf ich hoffen sollte. Mir schien es, als wäre es einfacher zu sterben, als zu sehen, wie Rumer oder Mama geholt wurden, doch vielleicht empfanden sie genauso.
    Hilflos blickte die Kapitänin erst Mama und dann uns an, und wie versteinert starrten wir unsererseits zurück.
    »Eine müssen wir hergeben«, sagte sie. »Aber bloß eine.«
    » Drei haben sich freiwillig gemeldet«, zischte der Geist, während er mit aufgerissenem Maul näher zu uns herabschoss.
    Dies verlieh der Kapitänin sichtlich Stärke. » Einer war vereinbart. Brichst du die Vereinbarung?«
    Diese Vorstellung brachte den Geist durcheinander, und er glitt von ihr weg, höher hinauf, und schwebte nun wieder neben seinen Gefährten. »Nein«, heulte er. »Einer. Einer ist genug.«
    »Also schön«, sagte Mama. »Hier bin ich.«
    »Nein!«, riefen wir. Doch einen Moment lang kreuzten sich die Blicke der Kapitänin und Mamas, und die Kapitänin nickte.
    Die Geister ließen sich zu Mama herab und zerrten sie vom Deck. Ich spürte, wie sie mich streiften, ihre Körper fühlten sich an wie kaltes Tuch, das mir über die Haut strich. Dann erhoben sie sich zum Himmel, Mama mit sich zerrend. Dabei heulten und kreischten sie triumphierend. Rumer und ich versuchten, sie zurückzuzerren, indem wir ihre Füße packten, doch sie waren zu stark, so stark wie die See,
unaufhaltsam, und sie entrissen sie uns und ließen uns auf dem Deck zurück.
    Mama drehte den Kopf, um uns noch einmal ansehen zu können, doch sie waren schon zu hoch für uns, als dass wir ihr in die Augen hätten schauen können. Aber geschrien hat sie nicht, unsere Mama. Sie schenkte ihnen keinerlei Angst, mit der sie hätten spielen können. Sie gab ihnen überhaupt nichts – außer sich selbst.
    Und nach einem, zwei, drei Herzschlägen waren sie über der weiten See, und wir blieben zurück, unter einem friedlichen, blauen Himmel auf Deck gestürzt, während ein steter Rückenwind das Gekreische von Möwen zu uns trug.
    Schließlich segelten wir einfach weiter, und es blieben uns nur noch offene Fragen und viele Vermutungen darüber, wohin sie sie bringen und was sie dort mit ihr tun würden.
    Danach plagten uns Nacht für Nacht Albträume.
    Und doch ist es

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