Die Hoehle der Traenen
Hand auf die kalten, glitschigen Felssäulen legend, und rief: »Sag uns, was du willst!«
Acton trat neben sie. Selbst als Geist wirkte seine Anwesenheit beruhigend.
Genau wie es gewesen war, als sie den See um Hilfe gebeten hatte, geschah auch nun etwas.
Am Flussufer regten sich einige Gestalten. Nicht jede einzelne, nicht der Wassergeist, doch der Eber, nicht der Baum, aber die Frau. Sie bewegten sich, taten dies jedoch stumm. Die Gestalten richteten sich auf und wandten sich ihnen gemeinsam zu, mit blinden Steinaugen, die sich zu fokussieren schienen.
Bramble blieb reglos stehen, doch Medric, Ash und Baluch traten allesamt zu ihr, bis sie in einer geschlossenen Gruppe beieinanderstanden. Acton trat vor, um die Gestalten zu empfangen. Die alte Frau, der Eber, ein Wiesel, sogar in Stein geschmeidig wirkend, ein Fuchs mit hochgestelltem Schwanz und ein Ochse.
Der Eber blieb vor Acton stehen, und die anderen umringten ihn mit jener unaufhaltsamen Kraft, wie sie Höhlenwesen zu eigen war. Die Frau stellte sich ein wenig abseits von Bramble, den Mund zu einem höhnischen Grinsen verzogen. Das Wiesel stellte sich Ash gegenüber, der Fuchs Baluch, und der Ochse stapfte zu Medric.
Bramble trat einen kleinen Schritt vor. Sie hielt ihre Kerze hoch, sodass sie das Gesicht der Frau erkennen konnte. Es war niemand, den sie schon einmal gesehen hatte, weder in Actons Leben noch in dem ihren. Es war die Art Gesicht, wie sie ein Puppenmacher für die Puppe einer bösen alten Frau schnitzen würde – alles war voller Falten und Runzeln.
Actons Kopf schnellte herum, und er grinste erst sie und dann Baluch an. Sie erwiderte sein Lächeln, den vertrauten Schwall von Vergnügen und Erregung spürend, den die Gefahr mit sich brachte.
Die Alte hob einen Finger, als wollte sie Bramble tadeln. Ihr Gesicht verzerrte sich, und Bramble vermochte nicht zu sagen, ob der Fels sich wirklich verlagerte und verdrehte oder ob es bloß an dem flackernden Kerzenschein lag.
Hinter ihr räusperte sich Ash und gab damit als Erster ein Geräusch von sich, seit die Gestalten sich in Bewegung gesetzt hatten.
»Ungezügelt!«, zischte die Alte sofort. »Undankbar, ungehorsam, unweiblich! Nicht tauglich für irgendjemanden. Die ungeliebte Tochter. Die ungewollte.«
Bramble fuhr zusammen. Die Stimme der Alten klang wie die der Toten, wie das Knirschen von Stein auf Stein, aber heller, mit Tönen, die sich veränderten wie herabstürzendes Wasser. Sie hörte, wie hinter ihr die anderen Gestalten sprachen, und vor ihr brüllte der Eber Acton in dessen Sprache an: »Mörder! Plünderer!«
Der Ochse muhte Medric vorwurfsvoll an: »Feigling, ungewollter Sohn! Für Gelumpe verkauft. Unmännlich, schwach!«
Bramble war froh, dass das Wiesel leise sprach und sie nicht hörte, was es zu Ash sagte. Aber Ärger stieg in ihr auf, weil sie wusste, dass gerade Medric von dieser Art des Angriffs verletzt sein würde.
»Seid still!«, dröhnte Ashs Stimme, und sofort verstummten alle.
»Ach, lass sie doch reden!«, sagte Acton. »Worte können uns nicht verletzen.«
Die anderen starrten ihn an. Bramble sah, dass Medric Tränen in den Augen hatte, und sowohl Ash als auch Baluch wirkten mitgenommen. Acton zog jene ernste Miene auf, die so häufig einem Ausbruch körperlicher Gewalt vorausging – als wollte er die Felsen in kleine Splitter zerschlagen.
In diesem Moment streckte die Alte eine Hand aus und legte sie schwer auf Brambles Schulter. Diese wollte beiseitetreten, doch ihre Füße steckten fest. Sie sah nach unten: Die Sohlen ihrer Stiefel waren von Fels umhüllt, und der Fels breitete sich aus. Sie schaute zu den anderen hinüber. Die Figuren berührten in diesem Moment jeden Einzelnen von ihnen, und der Fels umschlang ihnen allmählich die Beine. Sie waren gefangen.
Der Eber stellte ein Bein auf Actons Fuß, der ihm daraufhin prompt einen festen Tritt versetzte, sodass er das Gleichgewicht verlor und krachend auf die Seite fiel.
Acton trat neben Bramble, wartete jedoch darauf, was sie tun würde. Sie sah die Frau finster an. »Was willst du?«, fragte sie.
»Sprich«, sagte Ash widerwillig.
»Dies ist die Höhle der Tränen. Nur die, die würdig sind, kommen hier wieder heraus. Und du, Mädchen, bist innerlich leer«, sagte die Frau. »Du bist die weniger Geliebte, weniger Gewollte, trägst den Tod in dir wie eine Seuche! Du betrügst diejenigen, die dir vertrauen. Du lässt zu, dass die von dir Geliebten sterben wie wilde Tiere!«
Doch
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