Die Hoehle der Traenen
nutzlos. Aber jetzt bin ich es nicht mehr.«
»Endlich die Wahrheit«, höhnte das Wiesel, doch es trat beiseite und erstarrte zu Stein.
Der Eber brüllte Acton an und versuchte, dessen Waffenrock mit einem Stoßzahn zu packen.
»Ach, jetzt sprich doch einfach mit ihm!«, sagte Bramble. »Sonst kommen wir hier nie raus.«
Er schenkte ihr sein schiefes Lächeln, sprach jedoch den Eber gehorsam an: »Ja, ja, ich bin ein Mörder, ich bin ein Eindringling. Das ist kein Geheimnis.«
Der Eber erstarrte und versteinerte an Ort und Stelle. Bramble wünschte sich, sie hätte ein besseres Gefühl diesbezüglich gehabt – Actons Tonfall hatte so lässig geklungen, war so beiläufig gewesen, als hätten ihm die Anschuldigungen überhaupt nichts ausgemacht.
Doch da war noch etwas anderes, das sie beunruhigte. All diese Wesen … waren einst einmal lebendig gewesen. Sie stellte sich der alten Frau gegenüber. »Du bist tot. Warum bist du nicht zur Wiedergeburt geschritten?«
»Sprich«, sagte Ash. Seine Stimme klang nun fester, als habe er an Zuversicht gewonnen. Das blinde Felsgesicht regte sich, doch nur der Mund bewegte sich. »Keiner von uns aus der Höhle der Tränen wird je wiedergeboren«, antwortete sie, und nun wurden auch die Augen lebendig und starrten sie verzweifelt an. »Keiner.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Bramble. »Das kann nicht sein. Das würden die Götter nicht erlauben.«
»Die Götter sind jung, und das hier ist nicht ihr Herrschaftsbereich, Mädchen.« Sie machte einen Schritt auf Bramble zu. »Hier herrscht der Fels.«
»Nicht bloß Fels«, sagte Baluch hinter ihr. »Auch Wasser.«
»Wir können sie hier nicht zurücklassen«, sagte Bramble.
»Wir würden sie nie herausbekommen«, erwiderte Baluch, während er Größe und Gewicht der Felsen abschätzte.
»Niemand wird gehen«, sagte die alte Frau.
»Die Wege sind verdreht«, echote der Fuchs.
»Es gibt keinen Weg.« Das Wiesel stellte sich auf die Hinterbeine und kicherte. Ash schubste es, sodass es sein Gleichgewicht verlor und krachend zu Boden fiel und dort keuchend und zornig starrend liegen blieb.
»Dann werden wir uns eben einen Weg bahnen«, sagte Acton.
»Acton, an was denkst du?«, fragte Baluch.
»Ich denke, dass Stein gebrochen werden kann.« Er ging zu Bramble. »Wie nahe sind wir an der Oberfläche?«
Sie strapazierte ihr Orientierungsvermögen und kam zu einem Ergebnis. »Weit ist es nicht, denke ich.« Sie wies nach Osten. »Dort sind wir entlanggegangen, bevor die Höhle sich um uns herum verändert hat.«
»Wenn wir einen Weg finden, kann uns unser Grubenarbeiter hier vielleicht zeigen, wie wir ihn so verbreitern können, dass wir auch diese armen Kreaturen mitnehmen können.«
»Das könnte funktionieren«, sagte Bramble, »aber nicht, wenn der Zauber, der sie hält, sie nicht gehen lässt. Sie sind zu schwer, als dass man sie tragen könnte.«
»Aber wir haben einen Zauberer«, sagte Acton mit Blick auf Ash. »Kannst du keinen Weg finden, um sie ans Licht zu bringen?«
Voller Mitleid sah Ash die alte Frau an. »Stein kann sich Wasser nicht ewig widersetzen.« Er schaute hoch. »Lasst sie gehen, und die Höhlen werden sicher sein.« Warnend hallte seine Stimme in der Dunkelheit um sie herum wider.
»Wartet«, sagte Acton und wandte sich der Frau zu. »Wer hat dich beauftragt?«
»Dotta, die Tochter des Feuers«, sagte sie in seiner Sprache. »Niemand außer den Würdigen kommt hier heraus.«
»Dotta«, wiederholte er mit seiner krächzenden Stimme nachdenklich.
»Sie hat dich beschützt, Acton«, sagte Bramble. »Sie wusste,
dass ich wegen deiner Knochen zurückkommen würde, und ich glaube, sie hat dafür gesorgt, dass niemand sie vorher stiehlt. Aber Dotta hätte Geister nicht davon abgehalten, zur Wiedergeburt zu schreiten.«
Die alte Frau breitete die Hände aus und zuckte wie eine auf dem Marktplatz feilschende Fischersfrau mit einer Schulter. »Dies sind die Höhlen. Es ist immer so gewesen. Wir haben keine Macht über sie.«
»Dann ist es Zeit, den Höhlen ein Ende zu bereiten«, sagte Ash. Baluch stellte sich neben ihn und hakte sich bei ihm ein. Mit einem neugierigen Ausdruck auf dem Gesicht sah Acton ihn an. Es war, als begreife er zum ersten Mal, dass Baluch ein Leben, ein langes Leben gehabt hatte, das ihn auf eine Weise verändert hatte, die Acton nicht verstand.
Die alte Frau starrte Acton scheinbar verständnislos an, und allmählich erwachten die anderen Gestalten zum Leben und reihten
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