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Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Titel: Die Höhle in den Schwarzen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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ihnen stehenden auf die Füße getreten, eines hatte das Gleichgewicht verloren und wurde von der Nachbarin aufgefangen. Stark wie ein Hirsch und die übrigen Jungen lachten jetzt die Mädchen aus, nur Harka Steinhart blieb ernst und schien die Schar der weiblichen Lebewesen überhaupt nicht zu sehen.
    Langsam, mißtrauisch gegen die weiteren Vorhaben der Jungen, rückten die Mädchen wieder bis zu Sitopanaki vor.
    Die Jungen übten das gleichzeitige Wenden der Pferde, so daß im Nu aus der Reihe der hintereinander reitenden Jungen die Linie der nebeneinander reitenden entstand. Auch das klappte noch nicht tadellos. Die Mädchen banden aber ihre Zungen an. Nur Spottdrossel vermochte nicht den Mund zu halten.
    »Seht doch das schöne Zickzack, das ihr zu reiten versteht! Zickzack ­ Zickzack! Wartet ein wenig, haltet doch einmal an! Ich will mir das neue Stickmuster schnell aufzeichnen! Zum Andenken wollen wir es euch auf die Röcke sticken, ihr künftigen Krieger der Siksikau!«
    »Schweig, du jämmerliche Spottdrossel!« donnerte Stark wie ein Hirsch mit der Stimme, wie er sie seit einigen Monaten schon aufzubringen vermochte. »Lege dich auf die Erde und iß ein wenig Flußsand, damit deine Zunge endlich nützlich beschäftigt wird! Paß auf!«
    Stark wie ein Hirsch und Harka Steinhart verstanden sich schon so gut, daß ein Blick und ein kurzer Wink genügten, um dem anderen die eigene Absicht deutlich zu machen. Die beiden preschten aus der Linie heraus, direkt auf die Mädchenschar zu. Die Mädchen, die sich am weitesten rechts und links befanden, stoben weg, die mehr der Mitte zu standen, warfen sich zum Teil zur Erde und befolgten so den Rat des Knaben. Am alten Platz und aufrecht standen schließlich nur noch Sitopanaki und Spottdrossel. Im letzten Moment kauerte sich Spottdrossel noch zusammen. Sitopanaki blieb stehen wie ein einsamer Baum. Die beiden Knaben hatten ihren Mustangs die Fersen gegeben, so daß diese zum Sprung über die Mädchen ansetzten. Stark wie ein Hirsch kam elegant über die am Boden kauernde Spottdrossel hinweg. Harka sprang mit seinem Grauschimmel über Sitopanaki. Das Mädchen sah die Vorderbeine, den Leib des Tieres; im selben Augenblick legte sie die Hände schützend um den Kopf, spürte auch schon einen Schlag, wankte, fing sich aber doch noch und blieb aufrecht wie zuvor.
    Sie hörte, wie hinter ihr die Mustangs klatschend im Wasser aufsprangen, so daß der Sprühregen über Sitopanakis Rücken, mehr noch aber über die am Boden kauernde Spottdrossel ging. Die beiden Jungen wendeten, und das Hohngelächter der ganzen Knabenschar galt der triefenden Spottdrossel. Daß auch Stark wie ein Hirsch und Harka auf ihren Mustangs ein Brausebad genommen hatten, verstand sich von selbst und war nicht der Rede wert, da sie nachher im Zelte nur die Gürtel zu wechseln brauchten.
    Sitopanaki hatte die Hände vom Kopf genommen und verbarg sie hinter dem Rücken; niemand sollte sehen, daß ihre linke Hand angeschlagen und schon blau angelaufen war.
    Harka Steinhart ritt mit Stark wie ein Hirsch zu den anderen Knaben zurück, und solange das Mädchen ihn beobachten konnte, schaute er nicht ein einziges Mal nach ihr hin. Er hatte aber ihre angeschlagene Hand hinter dem Rücken gesehen und war zufrieden mit ihrem Verhalten.
    Sitopanaki drehte sich plötzlich um und verließ das Bachufer, um zu ihrem Zelte zu gehen und der Mutter zu helfen. Das Mädchen kannte sich in ihren eigenen Gedanken und Gefühlen nicht mehr aus. Bis zum Ausgang des Winters hatte für sie jedes Ding und jeder Mensch seinen sicheren, ihm zukommenden Platz gehabt. Dann waren diese beiden Fremdlinge aufgetaucht, Angehörige eines verhaßten Stammes, mit einer fremden Sprache. Häuptling Brennendes Wasser hatte sie aufgenommen und mit Geschenken geehrt, also mußte Sitopanaki sie auch achten. Der über alles geliebte und bewunderte Bruder schloß Freundschaft mit dem fremden Jungen. Sitopanaki hatte Harka Steinhart oft verstohlen beobachtet. Sie hatte gewünscht, daß Stark wie ein Hirsch den Fremdling in den Wettspielen besiegen möchte, und dann hatte sie es wieder nicht gewünscht. Die beiden Jungen waren einander ebenbürtig, aber das mußte sich täglich neu erweisen, und Sitopanaki wartete mit größerer Spannung als je auf den Ausgang jedes Spiels und jeder Übung. Sie wußte selbst nicht, warum sie erregt war. Manchmal hatte sie Gelegenheit, den Gesprächen der beiden Jungen im Zelte zuzuhören. Harka Steinhart erzählte

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