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Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Titel: Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ted Chiang
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können.«
    »Kein Problem«, sagte Gary und ließ seine Fingergelenke knacken. »Allzeit bereit!«
    Wir begannen mit einigen intransitiven Verben: gehen, hüpfen, sprechen, schreiben. Gary führte jedes mit einem bezaubernden Mangel an Befangenheit vor. Die Videokameras störten oder beeinflussten ihn dabei keineswegs. Bei den ersten Tätigkeiten, die Gary vorführte, fragte ich die Heptapoden: »Wie bezeichnet ihr das?« Schon bald hatten die Heptapoden verstanden, was wir vorhatten. Himbeere begann Gary nachzuahmen, während Haspel uns mit Hilfe des Heptapoden-Computers die schriftliche Darstellung zeigte und sie laut aussprach.
    In den Sonagrammen ihrer Äußerungen erkannte ich das Wort »Heptapode« wieder. Der Rest der heutigen Äußerungen waren dann naheliegenderweise die Verbalphrasen. Es sah so aus, als ob sie etwas unseren Verben und Nomen Vergleichbares verwendeten. Gott sei Dank.
    Bei ihrer Schrift herrschte allerdings keine solche Klarheit. Für jede Tätigkeit hatten sie uns ein einziges Logogramm gezeigt statt zwei verschiedene. Zuerst dachte ich, sie hätten etwas Ähnliches wie »geht« mit impliziertem Subjekt geschrieben. Warum aber sagte Haspel dann »der Heptapode geht«, während er »geht« schrieb, statt Gesprochenes und Schrift eins zu eins zu vermitteln? Dann fiel mir auf, dass einige der Logogramme dem Zeichen für »Heptapode« glichen, allerdings mit ein paar zusätzlichen Strichen auf der einen Seite. Vielleicht ließen sich bei ihnen die Verben als Affixe eines Substantivs schreiben. Falls das so war, warum hatte Haspel dann in einigen Fällen das Substantiv ausgeschrieben, in anderen nicht?
    Ich beschloss, es mit einem transitiven Verb zu versuchen – das Austauschen der Objektwörter würde die Sache vielleicht klären. Unter den Requisiten, die ich mitgebracht hatte, waren ein Apfel und ein Stück Brot. »Also«, sagte ich zu Gary, »zeigen Sie ihnen das Essen, und essen Sie dann etwas. Erst den Apfel, dann das Brot.«
    Gary deutete auf den Golden Delicious und biss dann hinein, während ich die »Wie bezeichnet ihr das?«-Phrase abspielte. Das wiederholten wir dann mit einer Scheibe Vollkornweizenbrot.
    Himbeere verließ den Raum und kehrte mit etwas, das einer großen Nuss oder einem Kürbis glich, sowie einem gelatinösen Ellipsoiden zurück. Himbeere zeigte auf den Kürbis, während Haspel ein Wort sagte und ein Logogramm erscheinen ließ. Himbeere ließ den Kürbis anschließend zwischen seinen Beinen verschwinden, ein knuspernder Laut war zu hören, und der Kürbis erschien wieder, um ein abgebissenes Stück kleiner. Unter der Schale befanden sich maiskornartige Samen. Haspel sagte etwas und zeigte auf dem Bildschirm ein großes Logogramm. Das Sonagramm von »Kürbis« ließ Veränderungen erkennen, wahrscheinlich eine Kasusmarkierung. Das Logogramm war seltsam: Nach einigem Überlegen konnte ich einzelne graphische Elemente erkennen, die den Logogrammen für »Heptapode« und »Kürbis« glichen. Es sah so aus, als ob die beiden Zeichen miteinander verschmolzen und ihnen einige Striche hinzugefügt worden wären, die wahrscheinlich »essen« bedeuteten. Handelte es sich hier um eine Ligatur aus mehreren Wörtern?
    Als Nächstes zeigten sie uns die gesprochenen und geschriebenen Namen für das Gelatine-Ei sowie die Bezeichnungen dafür, dass es gegessen wurde. Das Sonagramm für »Heptapode isst ein Gelatine-Ei« ließ sich analysieren. »Gelatine-Ei« wies wie erwartet eine Kasusmarkierung auf, aber die Reihenfolge der Wörter im Satz hatte sich verändert. Ein anderes Problem stellte die geschriebene Form dar, ein weiteres großes Logogramm. Diesmal brauchte ich viel länger, um etwas zu erkennen. Die einzelnen Logogramme waren nicht nur miteinander verschmolzen, zudem sah es so aus, als ob das Zeichen für »Heptapode« auf dem Rücken läge und sich oben das auf den Kopf gestellte Zeichen für »Gelatine-Ei« befände.
    »Oje.« Noch einmal studierte ich die Beispiele einfacher Verb-Substantiv-Verbindungen, die mir bisher widersprüchlich erschienen waren. Nun erkannte ich, dass sie tatsächlich alle das Logogramm für »Heptapode« aufwiesen; einige davon hatte ich nicht gleich erkannt, denn das Zeichen war um die eigene Achse gedreht oder bei der Verschmelzung mit den verschiedenen Verben verzerrt worden. »Ihr wollt uns wohl auf den Arm nehmen«, murmelte ich.
    »Was ist los?«, fragte Gary.
    »Die Schrift trennt die Wörter nicht voneinander. Ein Satz wird gebildet,

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