Die Hölle lacht
uns nicht, sonst wird es ihnen ergehen wie diesem hier.«
Urdus brummte zustimmend. Er legte die Botschaft auf des jungen Offiziers Brust und befestigte sie mit einem langen Holzsplitter. Schließlich wurden die Gefangenen von Urdus’ Meute in die Mitte genommen, und der Marsch aufwärts begann.
»Warum laufen wir nicht einfach weg?« flüsterte Aleil Athu zu.
Sie hielten sich ein wenig abseits von den andern und machten den Abschluss. Aleil wäre so gern geflohen, und sie verstand Athu nicht, schon gar nicht, weshalb er mit seinen Zauberkräften Urdus und den andern manchmal half, sie jedoch gewöhnlich ihrem Schicksal überließ.
»Ich habe eine Schuld abzutragen«, sagte Athu.
»Was für eine Schuld? Willst du dich an Urdus rächen? Ihn töten?«
Athu. blickte sie nur an.
»Dann töte ihn doch und bring es hinter dich! Und dann wollen wir weg von hier, Athu!«
»Törichtes Kind!« tadelte er sie ruhig, nachdenklich. »So sehr wie Kinder, ihr alle – gewalttätige, ruchlose Kinder.«
»Aber …«
»Urdus Tod ist nicht alles, Aleil. Ich brauche diese Menschen. Sie werden mir von Nutzen sein.«
Aleil warf verärgert ihr Haar zurück. »Wozu brauchst du sie denn?«
»Für mein Lehmwerk. Ich brauche ihre Kraft, ihr Blut, ihre Seelen.«
Aleil schüttelte den Kopf. Ihre Stimme war spröde, als sie sagte: »Ich dachte, du würdest mir helfen – ich dachte, wir würden einander helfen wegzukommen. Ich habe nichts zu tun mit deinem – deinem Lehmwerk.«
Athu zuckte die Schulter. »Wir sind auf dem Weg zur Hölle«, erklärte er ihr. »Du kannst nicht entkommen, genauso wenig wie ich. Würdest du von hier weglaufen, wärst du immer noch auf dem Weg zur Hölle. Urdus bildet sich ein, er führt diese Narren in die Freiheit, statt dessen bringt er sie in die Zähne meiner Falle.«
»Was ist denn dein Lehmwerk? Was machst du?«
»Du wirst es bald genug wissen. Du wirst es sehen.«
Die Verbannten machten eine kurze Rast, um die Beeren zu essen, die sie in dem lichter werdenden Wald gefunden hatten, und um Wasser aus einem seichten Bach zu trinken. Kurz nachdem sie wieder weitergezogen waren, kamen sie auf eine Lichtung und sahen einen Wasserfall, der über eine Felswand in einen großen Teich toste.
»Aiiiii! Welch Teufels Werk …«
»Schwertschädel! Es ist Schwertschädel, bei Mitra!«
Diese entsetzten Ausrufe kamen von den Männern der vordersten Reihe. Urdus fluchte und eilte nach vorn. Er holte erschrocken Luft, denn der Wasserfall quoll aus einem hohen, wie von einem Schwert geschlagenen Spalt, über eine Felswand, die eine grauenvolle Ähnlichkeit mit einem gigantischen, verwitterten Totenschädel hatte.
»Ihr Götter von Vanaheim!« fluchte Urdus, und mit der Wut in seiner Stimme vermischte sich eine Spur Furcht. »Wir sind nicht auf dem Festland – wir sind wieder auf Os Harku!«
»Zauberei!« flüsterte Otos zitternd. »Der Wind auf dem Fluss gestern – wir kamen nicht voran. Deshalb konnte das aquilonische Schiff uns so schnell einholen …«
»Ja – Zauberei!« brüllte Urdus. Er wirbelte herum und zog sein Schwert.
Aleil erschrak zutiefst, als sie erkannte, dass der Riese geradewegs auf sie zukam. Sie drehte sich um, um Athu um Hilfe anzuflehen - und stellte fest, dass er nicht mehr da war.
»Du Hexe!« knurrte Urdus und bebte, als er sich bemühte, seine Wut zu zügeln. »Wo ist er? Sag es mir – oder ich schwöre dir, dass ich dich zerreißen werde!«
»Ich – ich weiß es nicht!« keuchte Aleil und fiel auf die Knie. »Er – war soeben noch hier …«
Urdus und alle seine Männer schauten sich um, doch Athu war nicht zu sehen. Der Wald hinter ihnen war düster und still. Unbewusst rückten die Männer enger zusammen. Das Rauschen des Wasserfalls klang unnatürlich laut.
»Er ist fort«, murmelte Betos. »Urdus – wir können nicht hier bleiben.«
Der Vanir schob sein Schwert in die Scheide zurück, drehte sich zu seinem Vertrauten um und knurrte: »Ja, seinetwegen brauchen wir jetzt einen neuen Plan. Wenn er dahintersteckt, schwöre ich bei Ymir, dass ich ihn …«
»Dafür ist jetzt keine Zeit, Urdus.«
»Du hast recht.« Der Riese spähte die Felswand hoch, dann deutete er. »Links vom Totenschädel ist eine Schlucht. Von dort können wir auf die Kuppe gelangen und haben einen guten Überblick. Wir müssten also sehen, ob weitere aquilonische Schiffe in der Nähe sind.«
Betos deutete mit dem Kopf auf die Gefangenen. »Was ist mit ihnen?«
»Wir nehmen sie mit!«
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