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Die Hölle von Tarot

Die Hölle von Tarot

Titel: Die Hölle von Tarot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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konnte, um ihm zu entkommen. Wenn das jemals geschah, würde Paul Macht über das Ungeheuer gewinnen, weil er dann ihm hätte folgen und es hätte sehen können. Doch er wagte nicht, dem Ungeheuer aufzulauern, weil es so aufpaßte. Er mußte es irgendwann einmal von hinten zu Gesicht bekommen. Das war das Gesetz ihrer Begegnung.
    Er sah sich um und spürte ein bekanntes Prickeln im Nacken. Nichts war zu sehen. So war das immer. Von einem Augenblick zum anderen konnte das Ungeheuer verschwinden. Wenn Paul nur Augen am Hinterkopf hätte – denn es konnte sich ihm nur von hinten nähern, wo er nicht sehen konnte. Wenn er sich umdrehte, zwang es die Kraft seines Blickes, zurückzuweichen und ihm neuen Spielraum zu schenken. Doch wenn er einfach losrannte, ohne sich häufig umzublicken, dann würde es ihn überholen und …
    Nein! Paul blieb stehen, faßte Mut, wandte sich um und stapfte durch seine Schneespuren zurück. Er würde ihm zeigen, daß er keine Angst hatte, wenn ihm auch die Knie zitterten. Er würde seine Spuren finden und beweisen, daß er ihm gefolgt war. Das würde ihm einen Punkt einbringen. Wenn er einmal einen Vorteil erlangte, wie minimal er auch sein mochte, könnte er den benutzen, das Ungeheuer immer weiter zurückzutreiben, bis es schließlich verschwunden war. Dann würde es sich ein anderes Opfer suchen.
    Es gab natürlich keine Spuren. Das hätte er sich denken können. Die hundert kleinen Füße hinterließen im Schnee kaum einen Abdruck; jeder der Füße trug nur ein geringes Gewicht, und das Ungeheuer war gerissen genug, verräterische Spuren zu verwischen. Fast zu gerissen für ihn …
    Wieder drehte sich Paul um. Geräuschlos nahm das Ungeheuer die Verfolgung wieder auf. Paul sah sich um, doch es hatte sich schon wieder fortgeduckt. So konnte er es nicht besiegen. Nun mußte er wieder ein Stück zurückgehen und sein Glück versuchen. Seinen Weg machte er dadurch nur komplizierter.
    Seltsam, daß das Ungeheuer ihn morgens nie verfolgte. Vielleicht, weil er dann ausgeruht und kräftig war – oder weil er zu jener langen Mühsal namens Schule ging. Warum sollte das Ungeheuer eingreifen, wenn er sich sowieso in Schwierigkeiten begab? Es schlich lieber hinter ihm her, wenn er sich am Rande der Sicherheit befand. Aber der Hauptgrund war wohl, daß die Schatten am Nachmittag schon länger waren. Das Ungeheuer war ein Wesen der Dunkelheit, ein Angehöriger des Schattenreiches, dessen Stärke zunahm, wenn das Licht schwand.
    „Sie waren für das Ungeheuer ein bißchen zu clever“, bemerkte Satan anerkennend. „Ich erinnere mich, mit welchem Zähneknirschen es sich darüber beklagte, wie Sie es immer wieder vertrieben haben, wenn es schon dachte, es habe Sie erwischt. Wir mußten uns schließlich etwas anderes ausdenken.“ Infernalischer Humor!
    Nun, als sich Paul der Hügelkuppe näherte, sah er, wie die Nachmittagssonne schräg durch die Bäume fiel und den Wald ein wenig erhellte. Es schien, als würde er sich einer Lichtung nähern. Im Sommer war dieser Eindruck noch stärker. Es schienen sich Täler mit Wiesen zu bilden, wo Farne und Blumen wuchsen. Im Winter wurde hier der gesamte Wald heller, daher war die Wirkung teilweise aufgehoben. Aber an manchen Stellen war sie deutlich zu spüren, und Paul befand sich nun an einer solchen Stelle. Doch heute zuckte er nicht freudig darüber zusammen; statt dessen wandte er die Augen ab, keuchte und rannte los, bis er die Stelle nicht mehr sehen konnte.
    Er erreichte das Haus. Junie knabberte an der Rinde eines Baumes in der Nähe der Tür; sie stieß ein leises freudiges Blöken aus und stampfte durch den Tiefschnee auf ihn zu. Er hatte Junie gern, wie alle anderen Ziegen auch. Sie versorgte ihn nicht nur mit frischer Milch, sondern war auch zutraulich. Er streichelte die weiß-gestreifte Nase. Sie war eine Toggenburger, gehörte also zur schönsten Ziegenrasse. Schade, daß sie nicht mit ihm zur Schule kommen konnte – wenn das Ungeheuer käme, würde sie einfach mit den abgesägten Hörnern zustoßen. Niemand würde sich einer solchen Begegnung mit einer Ziege stellen wollen!
    Doch nun riefen ihn andere Pflichten. Zuerst mußte er das Anmachholz für morgen früh spalten, dann die Laken der letzten Nacht auswaschen. Das Holzschlagen machte Spaß; er hatte Holz gern und mochte das Knacken. Der erste Schlag war immer schwer, wenn er das Scheit halbierte, doch mit den Hälften konnte er schon leichter umgehen, und ein jedes Viertel in feine Späne

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