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Die Hölle von Tarot

Die Hölle von Tarot

Titel: Die Hölle von Tarot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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zu splittern war das leichteste, weil man so schnell damit fertig wurde. Wenn man nur die Probleme des täglichen Lebens auf ähnliche Weise zersplittern könnte!
    Das große Laken auszuwaschen machte ihm keinen Spaß. Das Wasser war kalt und ließ seine Hände rasch rot und rauh werden, und es war schwere Arbeit, es auszuwringen. Er drehte es und drehte es, bis es wie ein riesiges Tau aussah, ein Ankerseil, wie man es auf Schiffen hatte, aber immer noch war Wasser darin, das nicht heraustropfen wollte, so sehr er sich auch mühte. Aber es mußte sein.
    Er sah sich die Tropfen an, die das Laken hinterließ. Plötzlich verspürte er Durst – er hatte vergessen, Wasser zu sich zu nehmen. Das war eine der Vorschriften, unter denen er lebte. Eines Tages hatte man ihn wegen des Bettnässens zu einem Arzt gebracht, und dieser hatte gesagt: „Keine Flüssigkeit mehr nach vier Uhr nachmittags.“ Und das Wort stand im Raum. Es hatte auf das Bettnässen keine Wirkung gehabt, aber seine Abende mit Durstqualen beladen. Jetzt nahm er einen Zipfel des nassen Lakens in den Mund, schmeckte noch schwach den Urin und hielt es mit den Zähnen fest, während er es mit beiden Händen noch einmal auswrang, wobei er ein paar kostbare Tropfen heraussaugte. Es reichte nicht, half aber. Selbst ein einziger Tropfen wurde dankbar entgegengenommen .
    Abends las ihm sein Pflegevater vor: Abenteuer, Märchen, Geschichten – alles faszinierte ihn. Paul liebte die Vergangenheit, die Zukunft und die Phantasiereiche. Die anderen Reiche waren immer interessant, teilweise wegen ihrer Exotik und teilweise, weil sie nicht hier waren.
    Doch schließlich wurde es Nacht und Schlafenszeit. Paul hatte eine Nachttischlampe, die aber nur schwach war und ihm nicht reichte. Denn nun drohte das Schrecklichste seiner gesamten Existenz, nämlich Angst. Doch sie war auch mit Verwunderung vermischt, die ihn wieder und wieder verlockte …
    Amerika! Vielleicht können nur Europäer oder Asiaten die volle Bedeutung dieses Wortes schätzen. Er sah in diesem Land alle Schönheiten, für die er ein einziges Wort gefunden hatte. Es war sein Lied, wenn er auch nicht alle Verse und Melodien kannte und nicht alle Anspielungen verstand, doch das war auch nicht nötig. Dieses Lied war nicht so sehr eine Reflexion der neuen Welt, sondern die neue Welt selber!
    Er konnte das riesige Land sehen, bedeckt mit fruchtbaren Ebenen, mit bernsteinfarbenem Korn und, juwelengleich, mit alabasterweißen Städten, die unter dem weiten Himmel glänzten. Riesige dunkle Berge erstreckten sich von dem gewöhnlichen Meer im Osten, das er überquert hatte, bis zur wunderbar leuchtenden See im Westen, schön über alle Vorstellung hinaus. Alles verschmolz zu einem hellen, verschwommenen Bild, das irgendwie einem großen Feld ähnelte, wo die großen Bäume immer kleiner werden, erst zu kleinen Bäumchen und schließlich zu Buschwerk, Farn und hübschen Blumen. Ein Feld der Freude, dessen kurzes Aufleuchten Wärme in sein Dasein brachte. Amerika. Amerika! Durch dieses Lied allein liebte er das Land.
    Doch Amerika war auch die Stadt – eine große Metropolis, deren Häuser bis in den Himmel reichten und wo der Rauch der Schornsteine zu Gott aufstieg. Autos, Eisenbahnen, Schiffe, Flugzeuge, Raumschiffe, Druckerpressen, Atomkraftwerke, riesige Sonnenreflektoren – die wunderbare Technologie der Zivilisation. Natur und Wissenschaft: zwei Bilder, ein jedes verlockend.
    Diese beiden Bilder teilten sich in vier auf und blieben starr stehen. Vier Bilder, scheinbar unschuldig – doch zusammen bildeten sie einen Alptraum.
    1. Eine Frau, die über eine Straße in einer Stadt geht, ein kleiner Junge an ihrer Seite.
    2. Die Frau in einer Videophonzelle, das Kind blickt von draußen durch die Glasscheibe herein.
    3. Ein Mann auf einer Lichtung, einen Löwen zur Seite. Dahinter liegt eine leicht, aber prächtig gekleidete Frau auf einer Pritsche.
    4. Der Mann hält den Löwen in die Luft, streckt die Brust heraus. Wie lautete das Geheimnis dieser vier Bilder, das sie so schrecklich machte? Unaufhaltsam wanderten seine Gedanken zu der Interpretation, wenn er auch schreckliche Angst davor hatte.
    Amerika! Doch irgendwie klangen die mächtigen Kadenzen hohl, denn die Stadt, durch die er mit seiner Pflegemutter ging, bestand nicht aus Alabaster. Jedoch besaß sie einiges von der Attraktivität und Aufregung, die für die Neue Welt charakteristisch waren. Es war nicht einsam wie auf der Farm, es gab Geschäfte und

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