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Die Hölle von Tarot

Die Hölle von Tarot

Titel: Die Hölle von Tarot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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die Schönheit der Karten (oder die Schönheit der Frau, die sie ihm verschafft hatte) sowie ihre vermeintliche Zauberkraft. Bruder Thomas würde eine Zeitlang nicht bemerken, daß das Spiel unvollständig war, denn er hatte keine Gelegenheit gehabt, die Karten zu zählen, und Bruder Paul würde sie in gemischter Reihenfolge abliefern. Die ersten sechs Karten der Waldenser würde er auf alle Fälle so beibehalten. Wenn man die Zeit in Betracht zog, die der Maler für seine Arbeit benötigte, besonders, wenn Bruder Paul pedantisch vorging – natürlich, damit der König ein vollendetes Kunstwerk erhielt –, würde es Monate dauern, ehe das Spiel vollständig wäre. Wer würde dann sagen können, ob es vollständig war oder nicht? Lee würde es merken, aber als Bruder Thomas würde er es nicht beweisen können – nicht nach den Regeln dieses Spiels.
    Bruder Paul würde ein neues Tarotspiel erschaffen, mit etwa einem Dutzend Trümpfen und vier Farben mit je dreizehn Karten – oder vielleicht vierzehn, das würde keine Rolle spielen. Ein volles Spiel mit 75 bis 80 Karten, eine jede mit dem oberflächlichen Titel und der Interpretation, die den ursprünglichen Sinn überdeckte. Die Inquisition mochte mit diesen Karten herumspielen wie sie wollte; sie würde ihre Zeit vergeuden. Die Waldenser würde man nicht lange durch einen Gaukler an der Nase herumführen, der niemals vom ‚Geist’, der ‚Natur’, der ‚Vision’ oder der ‚Frau des Ausdrucks’ oder der ‚Zwei der Aura’ redete. Oder der die tiefere Bedeutung des Trumpfes namens ‚Sonne’ nicht diskutierte.
    Denn die waldensischen Interpretation dieser letzten Karte lautete:
    Triumph!



 
VI
 
Vernunft Trumpf 25
     
    Der Schleim stieg auf und kritisierte das Kunstwerk.
    „Da stehst du“, sagte er, „würdig und zufrieden mit deinem Ebenholzglanz – aber völlig nutzlos. Du hältst dich für schön, aber du bist nur ein aufgedunsener Nebel. Du trägst Glanz, bist aber brüchig und schwach. Wo liegt deine Weichheit? Wo ist dieser feine, glitschige Widerstand, der der gemeinsten Fettblase zu eigen ist? Wo ist die gekräuselte wogende Bewegung der Flüssigkeit, die Flexibilität und Wärme von Spülwasser? Dir mangelt es an Variationen in Größe, Gestalt und Farbe, die den Inhalt eines jeden Mülleimers adeln. Du kannst dich nicht in der freien Art und Weise, wie es jedes Partikelchen Staub vom Fußboden kann, in sanfter Luft verflüchtigen. Du kannst die gebrochene Kunst einer schmutzigen Fensterscheibe im Sonnenschein nie ermessen. Deine Substanz kannst du niemals unsterblich machen, indem du einen hübschen Fleck auf einer Mauer hinterläßt. Und niemals, niemals wirst du einem Menschen diese einzigartige Befriedigung verschaffen, wenn er Schmutz wie mich fortwischt.
    Du bist nicht schön … du bist monströs!“
    Das Kunstwerk lauschte und schämte sich. Es fiel von dem antiken Tisch herab und zerbrach auf dem Boden. Der Schleim sah zu, wie die Hausfrau die Tausende von Scherben in allen Farben und Formen und Größen fortfegte und sie traurig in den Papierkorb warf.
    „Jetzt bist du schön“, sagte der Schleim und verschwand im Ausguß.
    „Nun“, sagte Satan. „Sind Sie nun zufrieden, was den Ursprung und die Bedeutung des Tarot angeht?“
    „Ja“, bestätigte Bruder Paul. „Das war eine Lektion. Aber wie habe ich mich dabei verhalten?“
    „Bestanden“, gab Satan zurück. „Ich hatte gedacht, ich hätte Sie noch für eine Weile dort, gefangen zwischen Sünde und Folter, aber Sie sind durch das Nadelöhr geschlüpft. Sicher, Sie haben sich bei der bewußten Irreführung der Inquisition leicht kompromittiert – aber der springende Punkt des Dilemmas war, daß es keine Wahl zwischen Gut und Böse gab …“
    „Sondern nur eine Wahl zwischen verschiedenen Arten von Böse“, ergänzte Bruder Paul. „Das war ja die Hölle.“
    „Genau. Jeder kann in einer bestimmten Situation Gut von Böse unterscheiden, wenn er will; nicht jeder aber kann das Böse so einschätzen, daß er auch damit umgehen kann. Sie haben sich ausgezeichnet verhalten, und ich fürchte, Sie sind für den Aufenthalt in der Hölle nicht geschaffen. Aber es bleiben ja noch zwei Wünsche. Oft unterliegt jemand, der eine ungeheure Herausforderung glänzend besteht, einer kleineren. Sollen wir fortfahren?“
    Warum sollte er warten? Bruder Paul wollte diese schreckliche Prüfung hinter sich bringen. „Weiter“, sagte er, strahlend in seinem Triumph. Was könnte wohl

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