Die Hoellenaxt
wie ist es?« Sie meldete sich im Plauderton, als wäre dieser Kontakt das Normalste der Welt.
»Gut.«
»Das freut mich. Dann hast du die Nacht gut verbracht?«
»Habe ich.«
»Und wo befindest du dich jetzt?«
»In einem Bus.«
»Haha, das weiß ich doch. Du hast mich in deine Aktentasche gesteckt. Ich bin also dabei, und das ist wichtig.«
»Kann sein.«
»Ist der Bus denn voll?«
»Nein nur zur Hälfte.«
»Aha. Dann habe ich genug Zeit, mir die Opfer auszusuchen. Gar nicht mal so schlecht, würde ich sagen.«
Es waren Worte, die eigentlich verstörend bei einem normal Denkenden wirken mussten. So war es auch im ersten Moment bei Rod Miller, aber bevor er weiter darüber nachdenken konnte, fuhr die Stimme fort.
»Man wird vor Angst vergehen. Man wird dir Respekt erweisen, man wird vor dir den Hut ziehen und …«
»Nein, das wird man nicht.«
»Wieso nicht?«
»Man wird mich fassen. Man wird bald wissen, wer der Mann mit der Axt ist, und dann wird man mich erschießen.«
»Meinst du?«
»Davon gehe ich aus, denn ich kann mich nicht einfach in Luft auflösen. Wo ich erscheine, gibt es Zeugen, und ich kann nicht alle Menschen töten.«
»Das stimmt. Da sind dir Grenzen gesetzt. Aber du kannst nicht zurück. Du hast dich in der Nacht auf meine Seite gestellt. Du wolltest den Bullen auch töten.«
»Stimmt.«
»Man wird dich einsperren. So oder so. Du bist in deinem Schicksal gefangen. Daran kannst du nichts ändern.«
Es waren harte Worte, aber auch Wahrheiten, die der Mann zu hören bekam. Er sagte nichts. Aber er legte seine Hände fest auf die Aktentasche, drückte das Leder zudem etwas ein, als wollte er die Axt festhalten.
Es ging ihm nicht mehr gut. So etwas wie Fieberschauer jagten durch seinen Körper. Im Bus war es nicht kälter geworden, für ihn aber fühlte es sich so an.
»Wirst du deine Pflicht tun?«, fragte die Stimme.
»Was erwartest du von mir?«
»Ganz einfach. Du öffnest die Aktentasche und lässt mich frei. Du musst auf mich hören. Du musst das Chaos produzieren, denn dann kannst du verschwinden. Ist das klar? Ich finde immer zu dir zurück.«
Das wollte er nicht. Er fühlte sich auf eine brutale Art und Weise ausgenutzt. Das war das Grausame an der Sache.
Er zitterte. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte den Fahrgästen Bescheid gegeben, dass sie den Bus verlassen sollten. Einfach wegrennen. Aber es würde ihm niemand glauben. Sie alle würden ihn für durchgedreht halten.
Dann stoppte der Bus mal wieder.
Miller sah, dass drei Fahrgäste den Bus verließen. Dafür stiegen vier ältere Leute ein.
Und wieder ging es weiter. Auch die Stimme war wieder zu hören. »So, jetzt sollten wir langsam zur Sache kommen.«
Miller atmete tief durch. Genau das wollte er nicht. Er hatte sich bereits einen Plan zurechtgelegt. An der nächsten Haltestelle wollte er aussteigen und die Tasche mit der Axt liegen lassen.
»Was meinst du damit?«
»Das ist doch klar. Ich habe keine Lust, noch länger in der Dunkelheit zu liegen. Ich will meine Freiheit.«
Rod Miller war nicht überrascht. So etwas Ähnliches hatte er sich gedacht.
»Hast du mich verstanden?«
»Ja, das habe ich.«
»Gut.«
»Und wann soll es geschehen?«, fragte Miller.
»Ich überlasse es dir, wann du mich aus der Aktentasche holst. Ist das gut?«
»Klar, immer.«
»Dann denke schon mal darüber nach, wann du es in die Tat umsetzt.«
»Vielleicht bei einem Stopp?«
»Ja, warum nicht?«
»Gut, dann versuche ich es da.«
Rod Miller hatte sich entschieden. Er konnte nicht mehr zurück. Die Kinder und Jugendlichen befanden sich auch weiterhin im Bus, und sie waren einer der Gründe, weshalb er sich etwas anderes vorgenommen hatte.
Er wollte jetzt nicht mehr sprechen und sich auch nicht anquatschen lassen. Er brauchte Ruhe, um sich zu konzentrieren. Das hieß nicht, dass er still sitzen bleiben wollte. Es gab schon etwas für ihn zu tun.
Er suchte nach einem Platz für die Aktentasche. So offen auf dem Sitz wollte er sie nicht liegen lassen. Da war es besser, wenn er sie auf den Boden stellte.
Im nächsten Moment stellte er die Tasche hinter die Rückenlehnen von zwei Sitzen.
Dann stand er auf.
Die nächste Haltestelle wurde bereits angezeigt. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, dann konnte er sein Vorhaben in die Tat umsetzen. Er ging von seinem Sitz weg.
Kehrte die Stimme zurück?
Nein, zum Glück nicht. Er hörte nichts, und das gab ihm Mut.
Er ging zur Tür.
Die jungen Fahrgäste
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