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Die hölzerne Hedwig

Die hölzerne Hedwig

Titel: Die hölzerne Hedwig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: zu KLAMPEN
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aufgeblasen und von sich eingenommen. Aber im Gegensatz zu Popeye war er bereit, zwischen den Phasen von Selbstbeweihräucherung
     Fragen zu beantworten. Auch die wichtigste von allen: Wo steckte Dora Messer? Wann konnte man sie sehen und vor ihr niederknien?
     Wann hielt sie Audienz und wie gut hatte sie sich gehalten?
    |64| Sie weilte in Lüneburg, wo sie sich mit Geschäftsführern von Reformhäusern traf, denen sie ihre Marmeladen, Pasten und Pasteten
     verkaufen wollte.
    »Ich kaufe«, sagte Küchenmeister. Für ein Autogramm auf jedem Etikett hätte er doppelt so viel gekauft.
    Kassian hielt die Bemerkung für einen Scherz. Er lud den Kommissar zu einem Rundgang ein.
    Es wurde nicht halb so schlimm wie befürchtet. Es war sogar schön, das lag an den prachtvollen Bäumen, Buchen und Eichen,
     die wunderbar gedämpftes Licht erzeugten. Sie trugen noch volles Laub, an die Bäume schlossen sich Weiden an, auf denen Pferde
     standen. Kassian lockte sie nicht und war stolz, als sie freiwillig näher trotteten. Der Kommissar hatte gesehen, wie er vorhin
     die Mohrrüben in seine Jacke gesteckt hatte. Überhaupt die Jacke, ein Mittelding aus Arbeitsjacke für Seefahrer und Landwirte,
     haltbar, mit klaren Formen. Solche Jacken ließen selbst Männer mit zwei linken Händen wie Handwerker aussehen. Zwei Pferde
     nannte er mit Namen, Küchenmeister war sicher, dass auch die anderen Namen trugen. Wenn Frauen in der Nähe waren, kam keine
     Kreatur ungetauft davon.
    »Früher bin ich zum Bäcker geritten«, berichtete Kassian. »Bis wir begannen, selbst zu backen. Schneewittchen ist ausgebrochen
     und allein zum Bäcker getrabt. Die haben Brezeln gemacht, dafür hätte Schneewittchen getötet.«
    Sie gingen durch vier Gebäude und Küchenmeister fand nichts zu meckern. Alles war groß und sinnvoll. Quadratisch, praktisch,
     gut; nichts war auf Außenwirkung bedacht. Nicht alle Türen waren geöffnet worden, Doras auch nicht, aber was konnte anderes
     hinter ihr liegen als eine Symphonie aus |65| betörenden Düften, fließenden Stoffen, in denen der Landwind spielte und einer Handvoll körperfreundlicher Kleidungsstücke,
     die absichtlich-absichtslos herumlagen und den Betrachter daran erinnerten, wie prägend Bilder einer attraktiven jungen Frau
     auf das Nervenkostüm pubertierender Knaben wirken mochten, die sich 20 Jahre später den frivolen Gedanken erlaubten, was das
     Sehnsuchtssymbol von einst wohl sagen würde, wenn der in die Jahre gekommene Knabe ihr gestehen würde, wie gut er sie kannte
     und dass er ihr monatelang treu gewesen war, bevor ein neues Magazin die Phantasie des Knaben in eine neue Richtung gelenkt
     hatte.
    Der Kommissar bat um einen Kaffee, den er in einer Küche von kolossalen Ausmaßen erhielt. Kassian bediente eine Schweizer
     Maschine, die Küchenmeister auf 2000 Euro schätzte.
    Aber nun.
    Kassian kannte die Rumänen, jeder kannte sie. Man hatte nichts miteinander zu tun gehabt. Bordon hatte Handlangertätigkeiten
     auf dem Gelände erledigt, nicht viel, nicht lange, zusammen keine sieben Tage. Er hatte geholfen, die ausgebüxten Schafe einzufangen.
     Zum Haus gehöre eine Herde mit 400 Tieren, der Kommissar habe sicherlich längst davon erfahren. Küchenmeister blickte so neutral,
     wie er es tat, wenn er nicht offen lügen wollte.
    Kassian wusste nichts vom Umfeld der Bordons. Dass sie hier überlebt hatten, ohne erkennbare Einkünfte zu erzielen, aktivierte
     eine weitere Hymne auf die Urigkeit des Landlebens. »Man braucht weniger, als man denkt. Wenn Sie bei uns wohnen würden, Herr
     Kommissar, hätten Sie vier |66| Wochen lang Angst, verrückt zu werden. Dann würden Sie ruhiger, denn Sie erkennen, dass Sie das meiste schon haben und dass
     Sie das, was sie nicht haben, auch nicht brauchen. Bei mir hat es zwei Jahre gedauert. Ich bin nach New York geflogen, um
     mich vom Maximum an Urbanität vollpesten zu lassen, das ich kannte. Es ist wie Entgiften, nur dass es länger dauert.«
    Küchenmeister fragte nach der Lage im Ort: Gab es Streit um ein kommunales Thema? Bauplätze, Straßen, Wegerechte, Spielplätze?
    »Wie kommen Sie auf Spielplätze? Glauben Sie, wir brauchen hier einen Spielplatz? Wir sind ein einziger Spielplatz.«
    An der Tür wurde gekratzt. Kassian ließ einen Hund herein. Er hätte einen guten Angestellten abgegeben, alles geschah im Laufschritt,
     das Tier strahlte Eifer und Neugier aus. Schwarzweiß, halbgroß, ein Hütehund, dessen Nase über Küchenmeister

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