Die hölzerne Hedwig
herfiel und ihn
danach behandelte, als wäre er unsichtbar. Küchenmeister kannte das schon, Tiere hatten mit ihm nichts im Sinn. Er hatte eine
Freundin gehabt, bei deren Anblick Hunde und Katzen ausgeflippt waren, ihren Schoß hatten sie erobert, wo sie gestreichelt
werden wollten und hinterher einschliefen.
Kassian tat so, als sei er faktisch der Bürgermeister, der jeden kannte und nicht zwischen öffentlich und privat unterschied.
Das leuchtete dem Kommissar ein. Wenn hier fünf Personen lebten, würde jeder von ihnen seinen Bekanntenkreis besitzen. Sie
mussten abends am Küchentisch nur noch ihre Kenntnisse zusammentragen, um zum Informationszentrum zu werden. Und die Geheimnisse?
Kassian war |67| vom Fach, er würde wissen, wie man sich Informationen beschaffte. Wer bisher nicht neugierig gewesen war, würde es in diesem
Kaff werden – schon aus Langeweile.
Ein bisschen was kam sogar zusammen: ein Ehekrieg, eine Nachbarschaftsfehde, alles lauwarm und weit entfernt von der Welt
der Bordons passiert.
Dann sagte Kassian: »Warum fragen Sie nicht nach Macciato?«
Das war der Moment, in dem Küchenmeister beschloss, sich zusammenzureißen. Er vertrug es nicht, von Bürgern auf seine Dienstpflichten
hingewiesen zu werden.
»Wir sind dran. Er ist auf dem Weg hierher.«
Wieder falsch, denn Kassian murmelte: »Sehr gut. Dann brauche ich ja nichts zu sagen«.
Ein wenig ließ er sich doch noch entlocken. Informationen mussten sofort abfließen, weil sie sonst einen Druck im Unterbauch
verursachten. Aber es waren nur die bekannten Stichworte: Zuhälter, goldenes Herz, nicht ohne Charme, obwohl man seine Frau
nicht mit ihm allein lassen sollte. Dafür sei er zu ölig, der Kerl würde alle Knöpfe kennen, auf die man bei Frauen drücken
musste. Nicht einmal Dora sei von ihm unbeeindruckt geblieben und die hatte mit ganz anderen Kalibern Umgang gepflegt in ihrem
alten Leben – »also bevor sie begonnen hatte, richtig zu leben.«
»Angenommen, ich lade sie zum Essen ein, würde sie die Einladung annehmen?«
»Wer? Unsere Dora? Aber klar würde sie. So verfressen wie sie ist. Wenn Sie nicht aufpassen, frisst sie die Speisekarte auf.«
Das war nicht der Wortlaut, den Küchenmeister hören wollte.
|68| Kassian lehnte sich zurück und fragte: »Soll ich Ihnen sagen, wie ich die Sache sehe?«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können.«
Er sah die Sache so: Das Kind war nicht von Bordon. Es hatte seit Monaten Streit gegeben, sie hatten ihn unter der Decke gehalten,
weil sie nicht die Ausländer sein wollten, die sich vor Zeugen stritten. Denn sie waren vorsichtig, weil es etwas in ihrer
Vergangenheit gab, das sie vorsichtig gemacht hatte. Aber als die Geburt bevorstand, brachen alle Dämme, denn jetzt war nichts
mehr zu verbergen. Jetzt mussten Entscheidungen getroffen werden. Und es gab den richtigen Vater. »Zwei sind nur ein keifendes
Paar. Drei sind wie Dynamit.«
Die Wehen begannen, der richtige Vater stand vor der Tür, die Männer bekriegten sich sofort, Irena hatte Schmerzen und sagte
etwas, was einen der beiden verprellte. Warum nicht beide? Frauen waren dazu imstande. »Ich kannte Frauen, wenn die getötet
worden wären, hätte man 50 Männer wegen Fluchtgefahr internieren müssen.«
»Und wenn Irena dem Zuhälter gehört? Wenn er in die Hütte kommt oder einen Schläger schickt, um sich das Kind zu holen? Wenn
der Zuhälter der Vater ist? Wenn er überhaupt nur deshalb so großzügig war und auf die Miete verzichtet hat?«
»Ach, die beiden haben keine Miete bezahlt? Sieh mal an.«
»Von mir haben Sie das nicht.«
»Okay.«
»Moment mal, was wird das hier? Sammeln Sie Stoff, um über den Mord zu schreiben? Ich denke, Sie sind ein Teil des Dorfs?
Das haben die anderen nicht so gern, wenn einer über sie schreibt.«
|69| »Ach nein? Dann kennen Sie aber die Eitelkeit der Menschen nicht. Die würden einen Finger dafür geben, wenn sie in einem Buch
vorkämen.«
»Ein ganzes Buch schreiben Sie?«
»Wie kommen Sie darauf?«
Küchenmeister kam darauf, weil er sich davor fürchtete, von einem, der cleverer war als er selbst, ausgehorcht zu werden.
Um sich abzulenken, fragte er nach Popeye. Hatte Bordon sich vielleicht bei den Teichen nützlich gemacht? Kassian erkundigte
sich nicht, warum er diese Fragen nicht an Popeye selbst richtete. Er kannte seinen Mitbewohner. Der Kommissar begriff nicht,
was diese beiden Männer zusammengeführt
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