Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die hölzerne Hedwig

Die hölzerne Hedwig

Titel: Die hölzerne Hedwig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: zu KLAMPEN
Vom Netzwerk:
wie diese Sippe. Doch, einen kannte er: Marvin Graf.
    In Kürze würden die Kommissare in die Stadt zurückkehren, vielleicht ereignete sich in den nächsten 20 Jahren kein einziges
     Verbrechen mehr im Dorf. In zehn Jahren hätte Marvin Rückenbeschwerden, in zwölf Jahren würden seine |119| Gelenke schmerzen, weil er 190 Pfund wöge wie sein Kollege, der sich von einem Arzt zum anderen schleppte. Der faule Sack
     hatte sich noch keine Minute um den Mord gekümmert. Wäre Marvin nicht so schrecklich jung, wäre er längst Leiter der Polizeistation.
     Aber das hätte Neid erzeugt. Alle faulen Säcke hätten aufgejault, und die Polizei auf dem Land war voller fauler Säcke. Daran
     war nichts zu ändern. Polizei zog Phlegma an.
    Die Nacht war so schwarz, wie sie nur auf dem Land ist. Der Mond nahm ab, aber er zeigte Marvin, was er sehen musste. Rechts
     der Stall mit dem Pferch davor. Neben dem Stall die Hütte, klein und geduckt. Die Hunde waren drinnen, nur deshalb kam er
     so dicht heran. Die Hunde waren das Problem. Hunde, die Herden hüteten, wurden nie ganz zahm. Man musste immer befürchten,
     dass sie einen in die Herde eingliedern. Einer hatte Marvin in die Waden gezwickt. Kein Tropfen Blut war geflossen, aber ein
     Biss war es doch gewesen, so wie er die Schafe zwickte, wenn sie nicht so wollten wie er. Da war es hell gewesen und Karl
     nur einige Meter entfernt. Jetzt war es schwarz, wer sich jetzt hier aufhielt, war kein Freund. Marvin wusste nicht, ob Hütehunde
     abends zwickten. Vielleicht machten sie da ernst. Vielleicht freuten sie sich den ganzen Tag darauf, abends die Sau rauslassen
     zu können. Hütehunde konnten machen, was sie wollten, sie hatten immer eine Entschuldigung. Karls Hunde galten als gute Arbeiter.
     Den Banditen, der damals in die Hütte eingebrochen war, hatten sie an Ort und Stelle im Krankenwagen operiert. Es war nicht
     lebensgefährlich gewesen, aber er blutete wie ein Schwein. Niemand hatte ihn bedauert. Und kein böses Wort über die Hunde.
     Dabei gab es bei Karl nichts |120| zu klauen. Der Junge besaß nichts, worüber sich ein Hehler freute. Ein iPod und Köpfhörer, mehr war da nicht. Alles andere
     stand in Karls Zimmer im alten Gasthof. Karl hatte gesagt, dass er auf das Zimmer pfeife. Aber sein Vater hielt es für ihn
     warm.
    Marvin hatte den Schäfer einige Male besucht, sie hatten kaum miteinander geredet. Karl hatte nichts gegen den jungen Polizisten,
     das bedeutete Marvin viel. Dass die Dörfler ihn respektierten, nahm er als selbstverständlich hin. Aber Karl war in seinem
     Alter, sogar jünger. Er sprach wenig, es zog ihn nicht in Gesellschaft. Aber wenn er in der »Hölzernen Hedwig« auftauchte,
     machte er eine gute Figur. Er spielte mehrere Instrumente. Natürlich lag es daran, dass Karl aus wohlhabenden Verhältnissen
     stammte.
    An den zwei beleuchteten Fenstern entstand Bewegung, Karl. Ohne Fernseher und Computer. Nur der iPod und die Bücher. Und ein
     Kopf voller Gedanken. Was für ein Leben. Die Kommissarin hatte heute Nachmittag mit Karl gesprochen. Sie konnte reiten. Bestimmt
     konnte sie auch schießen. Sie durfte Männern sagen, was sie tun sollten. Solche Frauen gab es hier nicht.
    Da! Eine Bewegung von links, eine Bewegung von rechts. Zwei Körper, Karl war nicht allein. Marvin war hoch konzentriert. Vor
     der Hütte stand kein Auto, auch vorn an der Straße hatte er nichts entdeckt. Wer immer bei Karl war: Er kannte sich hier aus.
     Oder er war schon vorher in der Hütte gewesen. Dass es der Vater war, hielt Marvin nicht für möglich. Er musste dichter an
     die Hütte heran. Aber dann würden die Hunde anschlagen. Karl würde nicht zögern, sie ins Freie zu lassen. Dann wäre alles
     vorbei. Marvin riss sich |121| zusammen. Nichts riskieren, nur beobachten. Die Teile zusammensetzen, sie mit anderen Teilen ergänzen, bis sich eins ins andere
     fügte und ein Bild entstand. Bis sein Foto auf dem Nachttisch der Kommissarin stehen würde. Er musste unbedingt neue Fotos
     machen lassen, auf den alten sah er aus wie ein Schüler. Vielleicht mochte sie Schüler, vielleicht hatte sie die Nase voll
     von erwachsenen Männern. Vielleicht sehnte sie sich nach Jungen, die keine Ansprüche stellten, die es nahmen, wie es kam.
     Und davon träumten, dass sie es sein würde, die über sie kam.
    Schemen an den Fenstern. Karl und ein Geheimnis. Und zwei Hunde, die keinen Spaß verstanden.

|122| DRITTER TAG
22
    Karolina Wiese wurde von ihrem Handy geweckt.

Weitere Kostenlose Bücher