Die hölzerne Hedwig
Theke und klaute zwei frisch gezapfte Pils. Er stieß mit Irmtraut an, während seine Kollegin
die dienstlichen Übertretungen addierte, deren er sich gerade schuldig machte.
Irmtraut war die beste Schützin im Verein, kein Schützenbruder war besser. Sie hatte das Niveau auf ein bisher unbekanntes
Maß gehoben. Ohne Umschweife kam sie aufs Thema.
»Ihr seid doch die Polizisten, die seinen Mörder suchen.«
Karolina antwortete vorsichtig: »Wieso?«
»Weil ich denke, ihr könnt bestimmt alles gebrauchen, was ihr kriegen könnt.«
»An Informationen?«
»Was denn sonst? Davon rede ich doch die ganze Zeit.«
Einen Augenblick stellte sich Karolina vor, wie in Irmtrauts Familie die Kommunikation ablaufen mochte. Vielleicht war es
nützlich, wenn man schießen konnte.
»Wir hätten ihn nämlich beinahe für uns gekeilt«, fuhr die muntere Schützenschwester fort. »Ich war dafür, von wegen Integration
und so. Ist ja keine Schande, wenn du Ausländer bist, obwohl du natürlich nicht von hier bist. Aber vor allem, |114| weil er gut schießen konnte. Er muss beim Militär gewesen sein, wo lernt man das sonst? Aber er hat nicht darüber geredet,
dabei habe ich ihn gefragt, immer wieder. War ein sturer Hund. Wenn ich frage, antworten die Männer im Normalfall.«
Behutsam erkundigte sich Küchenmeister, ob man gerade über Bordon redete. Irmtraut starrte ihn an, als würde sie an seinem
Geisteszustand zweifeln.
»Fahren Sie fort«, sagte Küchenmeister behutsam.
Sie hatten zusammen in der Kiesgrube gesessen. Die Kiesgrube führte die Menschen zusammen, mehr als die Kirche und der Chor.
Meistens fanden sich dort die Jugendlichen ein, wenn sie ihre Ruhe vor den Erwachsenen haben wollten. Bisschen trinken, bisschen
knutschen und immer schießen. Irmtraut war eigentlich zu alt für die Kiesgrube, aber sie war keck genug, die ungeschriebenen
Regeln zu ignorieren. Ein Kasten Bier zauberte Lächeln in zuvor verschlossene Mienen. Einmal hatte Bordon in der Runde gesessen.
Kein Wort zu viel, aber es hatte ihm wohl gefallen. Als die Ballerei begonnen hatte, lehnte er das Gewehr ab, das man ihm
hinhielt. Bis Irmtraut demonstrierte, weshalb bei ihr schon konkurrierende Vereine angefragt hatten. Nun wollte auch Bordon.
Er schoss so gut wie sie, neun Treffer bei zehn Schüssen, und wollte nicht verraten, wo er das gelernt hatte. Auch nach der
nächsten Runde wollte er es nicht preisgeben.
»Irmtraut, was hast du?«, fragte Küchenmeister besorgt.
Es war Scham, nun wollten es die Kommissare genau wissen. Gab es einen Ehemann? Na bitte, dann musste sie doch keine Rücksicht
nehmen. Nun sorgte sie sich um ihren Ruf. Beim zweiten Mal in der Kiesgrube waren sie nur zu viert |115| gewesen, keine Kinder dabei, keine Halbwüchsigen, zwei Männer, zwei Frauen. Zwei waren schon ein Paar, bevor sie in die Grube
kamen. Irmtraut und Bordon wurden es in dieser Nacht. Schnaps im Bauch, Bordon schoss wie ein Gott. Er küsste auch wie ein
Gott und kam erst richtig aus sich heraus, als er Irmtraut spät am Abend nach Hause brachte. Der Sohn von zehn schlief bei
Nachbarn, das machte alles leichter. Es kam zu Sex und Rangeleien, Irmtraut durfte kein Licht anmachen, dabei hätte sie gerne
hingesehen, sie guckte immer gerne hin. Aber zur Not ging es auch im Dunkeln, danach floh Bordon und kehrte nie zurück. Irmtraut
kannte es nicht anders, so war sie seinerzeit zu ihrem Sohn gekommen und auch damals hatte es in der Kiesgrube begonnen. Der
Schützenball und die Kiesgrube, ohne diese Anbahnungsorte wäre der Ort längst ausgestorben.
Danach hatte man sich noch manchmal gesehen, aber vollständig bekleidet war Bordon der, den alle kannten: kein Wort zu viel,
an Küsse nicht zu denken.
»Er trug an etwas«, sagte Irmtraut, »das merkte man gleich. Da war ein Paket und es war schwer.«
Mehr wusste sie nicht, Bordons Frau hatte sie nie gesprochen. Besaß er eine Waffe? Sie wusste es nicht, war nie in seiner
Hütte gewesen. Konnte er das Schießen auch außerhalb des Militärs gelernt haben? Im kriminellen Umfeld? Irmtraut staunte.
Was Polizisten immer gleich dachten. Sie wollte ans Militär glauben. Militär war anständig, beim Militär war Schießen in Ordnung.
Rumänien? So hatte er gesagt. Hatte er? Vielleicht hatten es auch die anderen gesagt und er hatte nur nicht widersprochen.
Hatte er Streit bekommen, im Dorf oder außerhalb? Irmtraut wusste es nicht. Hatte er Bekannte |116| in anderen Orten,
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