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Die hölzerne Hedwig

Die hölzerne Hedwig

Titel: Die hölzerne Hedwig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: zu KLAMPEN
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Städtchen denkst du zuerst:
     So schlimm kann es gar nicht werden. Dann ziehst du hin. Kennen Sie Uelzen? Dann wüssten Sie, wovon ich rede.«
    »Wieso?«, fragte Küchenmeister. »Da halten doch sogar Züge.«
    »Aber immer nur kurz. Dann fahren sie ganz schnell weiter. Eines Tages wird jemand herausfinden, dass Züge, die in Uelzen
     abfahren, auf den ersten zehn Kilometern schneller sind als bei der Abfahrt aus jedem anderen Bahnhof.«
    Macciato war hingefahren, sein Freund hatte hinter dem Tresen gestanden und ausgesehen, als habe er eine 48-Stunden-Schicht
     in den Knochen. Dabei war es elf Uhr vormittags. Macciato hatte mit der seelsorgerischen Betreuung begonnen. An dem Tisch
     am Fenster hatten sie gesessen, beide in Jacken. Niemand sonst trug drinnen Jacken. Sie hatten nicht glücklich ausgesehen,
     aber registriert hatte er sie erst, als er dem Freund anbot, ihm die Hütte zur Verfügung zu stellen. Nur so lange, wie man
     brauchte, um sich eine Krise aus dem Körper zu schlafen. »Schon als ich es aussprach, hatte ich das Gefühl, dass es falsch
     war. Er brauchte keine Ruhe, |111| davon hatte er viel zu viel. Ich hätte ihm ein Apartment in Berlin anbieten müssen.«
    Der Freund lehnte wunschgemäß ab, dafür stand die Frau neben ihm. Entschuldigte sich, weil sie mitgehört hatte, aber sie hatte
     mithören müssen, denn so eine Hütte würde ihr helfen. Ihr und ihrem Mann. Der saß am Fenster und schaute hinaus, als ginge
     ihn alles nichts an.
    »Eigentlich war das der Grund, warum ich ihnen die Hütte gegeben habe. Weil er seinen Stolz nicht überwinden konnte. Weil
     er kein Wort über seine Lage sagte und darüber, wie dreckig es ihnen ging. Für das Reden war sie zuständig. Wir sind gleich
     losgefahren, sie hatten zwei Sporttaschen dabei, und die waren nicht voll. Als wir vor der Hütte standen und die Sache besiegelten,
     war sie auch dafür zuständig: fester Händedruck, Blick in die Augen. Er hatte Probleme, mich anzugucken, bis zuletzt. Sie
     war da anders, hat mich umarmt, ich kriegte einen Kuss auf die Wange. Sie war glücklich.«
    »Lassen Sie mich raten«, sagte Küchenmeister, »das hat Sie gerührt.«
    »Sie werden lachen: Das hat es wirklich. So oft passiert das nicht, dass einem die Lage von völlig fremden Leuten ins Auge
     springt. Sie hatten nichts. Ich kannte sie nicht, doch es war klar, dass sie nichts hatten. Ich weiß bis heute nicht, wie
     sie diesen Tag in dem Café am Arsch der Welt überlebt hätten, wenn wir uns nicht getroffen hätten.«
    »Zufällig.«
    »Absolut. Ich wusste am Tag vorher nicht, dass ich hinfahre.«
    »Sie sind ein guter Freund.«
    »Herr Küchenmeister …«
    |112| »Nennen Sie mich einfach Hauptkommissar. Alle meine Freunde tun das.«
    »Sie haben Fragen, ich habe Antworten. Sie wollen die Wahrheit, ich sage die Wahrheit. Was haben Sie für ein Problem?«
    Die Kommissarin interessierte sich für die Fahrt von Salzwedel in das Dorf. Man hatte über eine Stunde zusammen im Wagen gesessen
     …
    Man hatte nicht. Sie waren in zwei Wagen gefahren: Jaguar und tannengrüner japanischer Kombi.
    Macciato wusste nichts zu berichten. Zwei Rumänen, die er für ein Paar hielt, ob verheiratet oder nicht. Sie suchten Arbeit
     und eine Bleibe. »Natürlich habe ich gedacht: Leute, was wollt ihr hier machen? Bauer spielen?«
    Aber sie hatten einen Wagen, sie waren zu zweit. Die Frau sprach gut Deutsch. Beide waren jung und kräftig. Es gab Menschen,
     die mit weniger angefangen hatten. Mehr wusste er nicht. Und dann musste er raus, weil er telefonieren wollte. Die Pflicht,
     die Pflicht.

20
    Es war eine fließende Bewegung: Er verschwand, und die Frau trat exakt an die Stelle, wo er zuletzt gestanden hatte. Die Kommissarin
     hatte mitgekriegt, dass in einem der Klubräume Betrieb herrschte. Die Kellnerin pendelte mit Tabletts, ab und zu kam jemand
     heraus, um draußen zu rauchen. Die Frau war über 30, ihr Haar war straßenköterblond und würde |113| sich wie Draht anfühlen. Sie trug die Jacke der Schützen und sagte: »Ich bin Irmtraut.«
    Küchenmeister rief: »Irmtraut! Na, gibt’s das? Wie geht’s denn, altes Haus? Wir haben uns ja ewig nicht gesehen.«
    Das erwies sich als vertrauensbildende Maßnahme, denn Irmtraut freute sich und gab schlagfertig Kontra.
    »So sind wir hier nun mal«, sagte sie strahlend. »Wir schlagen immer gleich mitten in den Kuchen und nehmen auch gern ein
     Bier, wenn man uns eins ausgibt.«
    Küchenmeister legte sich über die

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