Die hölzerne Hedwig
Angebot.«
Sie spitzte die Sache immer weiter zu und sah nicht so aus, als würde sie sich dabei unwohl fühlen. Vielleicht genoss sie
es, sich mit einer Fremden streiten zu können. Vielleicht verliefen ihre üblichen Streitereien in geordneten Bahnen und langweilten
sie.
Karolina sagte: »Wir müssen nicht in Ihrem Haus sprechen. Ich kann Sie aufs Revier zitieren.«
»Dann tun Sie das doch. Ich kann Ihnen die Adresse nennen.«
Es ging noch einige Minuten so weiter. Dann rettete sich Karolina in ihren Wagen. Was war das eben gewesen? Nur der Ärger
über den bisherigen Verlauf der Ermittlungen?
Sie fuhr zur WG, Kassian war beim Nachbarn und half beim Sanieren. Sie holte ihn vom Dach und störte sich nicht an seinem
Gezeter. Unter vier Augen konfrontierte sie ihn mit seinen engen Beziehungen zu Bordon. Erst leugnete er, dann schwächte er
ab, dann erklärte er es für nebensächlich. »Ich kann mir nicht alles merken«, sagte er. »Für das Herumschnüffeln in anderer
Leute Alltag sind Sie zuständig, nicht ich.«
Sie regte sich auf, er konterte: »Hier im Dorf halten wir zusammen. Wir binden nicht jedem gleich alles auf die Nase. Ohne
Vertrauen läuft gar nichts.«
|126| »Herr Kassian! Wir reden über einen Mord!«
»Wie gesagt, ohne Vertrauen …«
Sie konfrontierte ihn mit weiteren Bemerkungen, die gestern gefallen waren. Streitereien zwischen Vater und Sohn, manchmal
laut, einmal spektakulär: beim Schützenball, wo Karl mit der betrunkenen Dora auf eine Weise getanzt hatte, die sein Vater
nicht gutheißen wollte. Auf der Tanzfläche hatten sie sich gestritten: der Vater laut, der Sohn finster. Dazwischen Dora.
»Ich liebe euch doch beide«, hatte sie gerufen und sich abwechselnd Vater und Sohn an den Hals gehängt. Spöttische Zwischenrufe,
plötzlich standen Vater und Sohn da, als hätten sie ein Verhältnis mit Dora. Sie fand das lustig, Karl schüttelte den Kopf,
der Vater wollte an Ort und Stelle richtig stellen und begriff nicht, dass 200 angetrunkene Zeugen der Wahrheitsfindung nicht
dienlich waren.
»Das ist nicht optimal gelaufen«, gestand Kassian ein. »Eine Stunde später war alles vergessen.«
»Offenbar nicht. Sonst würde ich nicht von allen Seiten darüber hören.«
Sie übertrieb, ihr war nach Übertreibung. Übertreibung tat ihr gut.
»Hatte ihr Sohn ein Verhältnis mit Dora?«
»Ich höre ja wohl nicht richtig.«
»Was ist daran so unvorstellbar? Dora ist eine attraktive Frau und kokett dazu. Und Ihr Sohn ist im besten Alter für Dummheiten.
Wäre nicht das erste Mal, dass Vater und Sohn sich bei einer Geliebten abwechseln.«
In Kassian brodelte es. Er wollte so vieles sagen, dass am Ende nichts herauskam außer Grunzen, Ansetzen, Abbrechen. |127| Erbost stampfte er davon. Jetzt war er nur noch ein wütender älterer Mann.
Der Nachbar tauchte auf: »Kommt er gleich wieder oder was?«
»Ich würde nicht wetten«, antwortete Karolina. Wie der Kerl da vor ihr stand, verdutzt, ein leichtes Opfer, war sie kurz davor,
sich auch mit ihm anzulegen.
Sie fuhr zur WG, weil sie dachte, Kassian dort anzutreffen. Aber sein Wagen stand hier nicht. Zum ersten Mal sah sie den Mann,
der einen Umzugskarton über den Hof Richtung Scheune trug. Bei einem Kombi stand die Heckklappe offen. Er nickte ihr zu, sie
nickte zurück, sie war so gut wie weg, als ihr bewusst wurde, dass er in der Scheune verschwunden war.
Sie wartete, bis er zurückkam und sagte: »Wir haben uns noch nicht gesehen.«
»Und trotzdem ein zufriedenes Leben geführt«, erwiderte er. Sein Lächeln nahm den Worten die Schärfe.
Sie fragte, woher er stamme. Er wies nach oben. Er meinte die Scheune, Karolina dachte, er wollte sie hochnehmen mit einem
dummen Witz über »Gott« und »Himmel«. Sie regte sich auf, er sagte: »Meine Güte, ich wohne da.«
»Wo wohnen Sie?«
»Na da. Über der Scheune.«
Sie erinnerte sich. Davon war die Rede gewesen. Der Raum über der Scheune war angeblich ausgebaut worden.
»Ziehen Sie gerade ein?«
»Eigentlich ziehe ich seit vier Monaten ein. Es hört einfach nicht auf.«
Er reichte ihr die Hand: »Brügge.«
|128| Sie nannte Namen und Beruf, sein Blick zeigte, dass er Zusammenhänge herstellte.
»Mal gucken?«
»Bevor ich mich schlagen lasse.«
In der Wohnungstür stehend, bereute sie ihren Entschluss. Dies war die Wohnung, von der sie seit Langem träumte. In der letzten
Zeit weniger, sie schrieb das Resignation zu und der Erkenntnis,
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