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Die hölzerne Hedwig

Die hölzerne Hedwig

Titel: Die hölzerne Hedwig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: zu KLAMPEN
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Reue, sie atmen Reue. Sie
     haben gesündigt und sind von der Sünde gezeichnet, ein Leben lang.
    Die Kommissarin hatte sich über Ev Salomons Schicksal kundig gemacht. Es war ein, sollte es das geben, alltäglicher |134| Mord gewesen. Töten wollte sie, das hatte sie im Prozess so oft wiederholt, bis ihr Anwalt in die Resignation gefallen war.
     Sie hatte Liebe gegeben, der Mann hatte ihre Liebe genommen und war mit ihr nicht pfleglich umgegangen. Schon zu diesem Zeitpunkt
     hatte er in Gefahr geschwebt. Aber da dachte er noch nicht das Schlimmste, und als er Ev betrog, dachte er gar nicht oder
     er war sicher, dass er sich herauswinden würde wie alle Männer seit Tausenden von Jahren. Nicht einmal mit dem Leugnen hatte
     er sich Mühe gegeben, sie stach achtzigmal zu, weil sie nach dem zweiten Stich fürchtete, er könne es überleben und nach dem
     zwanzigsten Stich glaubte sie, dass nach dem sündigen Leib auch die sündige Seele bestraft werden müsse. Die Gerichtsmediziner
     betonten, so etwas noch nicht gesehen zu haben.
    In ihren 16 Jahren, von denen sie ihr keinen Tag erließen, hatte Ev drei Viertel ihrer wachen Tage mit Beten verbracht. Sie
     lebte in Einzelhaft, weil sie für die Mitgefangenen nicht zumutbar war. Vor der Entlassung fuhr Kassian Sachverstand auf und
     ließ durchblicken, alles privat zu halten. Sie hatten ihm Ev in den Wagen gesetzt. Die Wärterin, die Ev zum Abschied umarmte,
     sagte zu Kassian: »Sie sind ein guter Mensch. Hoffentlich sind Sie in einem Jahr immer noch ein guter Mensch.«
    Was es war, das Ev so gut tat, wusste letztlich niemand: die frische Luft; gehen zu können, ohne an Mauern zu stoßen; Mitbewohner,
     die mit Ev selbstverständlich umgingen und sie forderten: Du kochst und würzt mit Kräutern, du hackst das Land bis zum Zaun,
     du schnibbelst die Bohnen und weckst sie ein, das Gelbe sind die Pfifferlinge. Ev tat, was man ihr auftrug. Nur das Bereuen
     brauchte keine Aufforderung. |135| Aus eigenem Antrieb bereute sie von morgens bis abends. Wenn man sie ablenkte, ließ sie sich ablenken. Sie trank ein Bier
     und ließ das zweite stehen, rauchte eine Zigarre und verschluckte sich lachend am Rauch. Sie tanzte gern, wenn der Mann führte
     und hatte ein Händchen für Hunde, wie Karl es noch nicht erlebt hatte. Kassian hatte niemanden im Dorf erzählt, wer Ev war
     und er hatte nichts dafür getan, dass es geheim blieb. So war die Kunde durchgesickert, als schon einige Monate vergangen
     waren. Da war kein Aufstand mehr möglich. Niemand blies sich auf und gab den Moralisten. Ein paar Wochen riefen die Kinder
     Gemeinheiten, bis sie neue Opfer fanden.
    Seit vier Jahren war Ev Salomon nicht mehr im Gefängnis. Aber frei war sie auch nicht und würde sie nie sein, denn sie hatte
     nur das Gefängnis hinter sich gelassen, sich selbst hatte sie immer dabei.
    Küchenmeister hatte mit Kassian gesprochen, Ev nahm keine Medikamente. Er bezeichnete sie als vollkommen normal. Im schlimmsten
     Fall könne man sie »wunderlich« nennen. Aber er kenne hundert Menschen, die wunderlicher seien als Ev.
    Reden ließ sich mit ihr wie mit jedem anderen Menschen. Manchmal wirkte sie abwesend, aber Karolina hatte der ersten Begegnung
     mit Besorgnis entgegengesehen und fand sich angenehm enttäuscht. Sie äußerte sich lobend über den Altar. Ev unterhielt ihn,
     seitdem sie hier war. Beim ersten Ausflug hatte sie sich verlaufen und seitdem nie wieder. Sie habe sich nicht gefürchtet,
     sondern habe sich die Zeit vertrieben, bis man sie finden würde. Damals sei der Altar entstanden, denn man müsse nur fest
     daran glauben, dass einem Hilfe gewiss |136| sei, dann werde einem Hilfe gewährt. Dafür sei nichts anderes notwendig als Sünden und Strafen. Danach habe man Anspruch auf
     Gnade und mit dem Altar habe sie ein Signal ausgesandt. Dass sie bereit sei.
    »Was für schöne Figuren«, sagte Karolina. »Darf ich sie anfassen?«
    »Warum denn nicht? Sehen Sie.«
    Sie waren nicht klein, die größten mochten 20 Zentimeter haben, groß genug, um Zeichen hineinzuschnitzen. Wörter, es waren
     wohl Wörter. Einmal rund um Leib und Rücken.
    »Das hat er sich allein ausgedacht«, sagte Ev andächtig.
    »Was für eine Sprache ist das denn? Oder ist es nur Phantasie?«
    Rumänisch war es, was denn sonst? So schlecht wie er im Deutschen war.
    »Bordon hat das geschnitzt?«
    Ev wunderte sich nicht, dass die Kommissarin so langsam begriff. Sie schlüpfte in die Haut einer Verkäuferin, zeigte

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