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Die hölzerne Hedwig

Die hölzerne Hedwig

Titel: Die hölzerne Hedwig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: zu KLAMPEN
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Biergarten stand. Im Vorbeifahren sah er die Lieferwagen: Tischler, Klempner, Maler. Er hielt an und fragte
     auf gut Glück. Da war die jetzige Wohnung nichts weiter als die Idee, die die Bewohner nie realisiert hatten, weil es immer
     etwas gab, was wichtiger war. Brügge winkte mit Geld, vor allem aber kümmerte er sich darum. Das gab den Ausschlag. »Ich nahm
     ihnen eine Last ab und habe es nie bereut.«
    »Diese vielen Bücher. Entschuldigen Sie, aber … es sind unfassbar viele.«
    »Es sind 3500. Ich habe vor, an dem Tag zu sterben, an dem ich das letzte ausgelesen habe.«
    40 Jahre war zu wenig Zeit gewesen. Jetzt hatte er sie und fürchtete sich nicht. Er wollte endlich reiten lernen; er wollte
     wieder ein guter Kegler werden; er wollte lernen, klassische Musik zu ertragen.
    »Und wenn es mir doch langweilig wird, heirate ich eine Frau vom Land und werde Bauer.«
    Als ihn die Kommissarin verließ, hatte sie gute Laune.

23
    Auf dem Weg in den Gasthof, wo sie sich mit Küchenmeister treffen wollte, sah sie die Frau. Es war die Bewegung im Augenwinkel,
     die man wahrnimmt und vergisst. Bei Fahndern verlief so ein Kontakt anders, der zweite Blick war obligatorisch, erst recht,
     wenn man langsam fuhr, weil man gerade mit dem Gedanken spielte, Karl einen Besuch abzustatten.
    |132| Sie parkte den Wagen so dicht an dem parallel zur Straße verlaufenden Graben, dass das Fahrzeug rechts tiefer stand. Der Weg
     war schmal und in der Mitte grün bewachsen. Sie trug ein Kleid mit einer dünnen Jacke. Sie hielt etwas in der Hand, das von
     Weitem nicht zu erkennen war. Karolina ließ ihr Vorsprung, die Frau hatte es nicht eilig. In Doras Zimmer hatte sie sie kennengelernt.
     Lange Kleider, folkloristisch und in kräftigen Farben, hatte sie auf jedem Foto getragen. Sie war nicht so alt wie sie aussah.
     Sie war ein Mensch, der nie richtig jung gewesen war. Daran hatte sich nichts mehr geändert. Alt sah sie auf den Bildern aus,
     die nicht verheimlichten, dass sie in einem Gefängnis entstanden waren. Keine grauen Haare, keine Falten, keine Kleider, die
     ältlich wirkten. Alt war die Frau an und für sich. Natürlich würde man die auszehrenden Jahre im Gefängnis dafür verantwortlich
     machen, aber es hatte auch eine Handvoll Fotos mit der blutjungen Ev gegeben.
    Als die Kommissarin hinter ihr in den Wald eindrang, Laubbäume, hochwachsende Gräser, umgestürzte Stämme, da wusste sie: Sie
     würde einen Ausdruck haben, der wie Lächeln wirkte, aber nicht wirklich Lächeln war. Sie würde leise sprechen und ungefragt
     betonen, dass es ihr gut ging, dass sie keine Ansprüche habe, sich nicht beklagte.
    Sie bog ab, ein Pfad, den Tiere getreten hatten, handtuchbreit. Sie ging hier erkennbar nicht zum ersten Mal und Karolina
     dachte: Vielleicht hat sie kein Ziel und will nur gehen. Die Sonne steckte hinter Wolken, aber es war so hell, als würde sie
     scheinen. Trocken war es, Heideboden, mager, sauer, kein Moos. Fliegendes Viehzeug summte und brummte, Karolina konnte keine
     einzige Art benennen.
    Die Frau im langen Kleid war verschwunden. Aber das war |133| doch … da war sie. Sie kniete oder hockte vor etwas. Einem Stein oder einem Stamm.
    Es war ein Altar, ein Altar im Wald. Frisches Laub war über etwas gebreitet, das nicht erkennbar war. Eine Art Tischplatte,
     auf der es vor Gegenständen wimmelte. Steine vor allem, alle Farben, alle Formen, Wurzeln und Teile von Wurzeln. Was jetzt
     von der Frau sorgsam drapiert wurde, war eine Schnitzarbeit.
    Karolina stand einen Schritt hinter der Frau, die nicht zu erkennen gab, dass sie spürte, was in ihrem Rücken vorging. Bis
     sie zu sprechen begann.
    »Man muss sich kümmern«, sagte sie. Die Stimme war dunkler als erwartet. Sie richtete sich auf und trat zurück, die Hände
     gefaltet.
    Die Kommissarin sagte: »Sie sind Ev Salomon.«
    »Wer soll ich denn sonst sein?«
    Mochte der erste Satz noch überraschend klingen und einen auf die Suche nach Tiefe und Sinn schicken, die folgenden Sätze
     erzeugten bei der Zuhörerin Distanz und Überdruss. Buße, Umkehr, Menschen mit Schuld, ein gütiger Schöpfer, Verfehlungen und
     Vergebung, altes Leben und neuer Anfang. Sie hatte ihr Schicksal in griffige Formeln verpackt und betete sie herunter, wie
     sie es wohl tausendmal getan hatte. Es gibt Menschen, die gewohnheitsmäßig bereuen. Sie haben Reue wie andere Stuhlgang. Man
     kann sie nachts aus dem Schlaf holen und sie werden sofort beginnen zu bereuen. Sie träumen von

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