Die hölzerne Hedwig
gleich nach der Befreiung. Es wäre normal gewesen, dass irgendwo Gold aufgetaucht wäre,
Schmuck, Bestecke. Weil nichts auftauchte, |190| gar nichts, schien bewiesen, dass der Abtransport von langer Hand vorbereitet worden war.
Der erste Schatzsucher wurde auf 1947 datiert, er zog von Haus zu Haus und stellte Fragen. Gab sich als Polizist aus, zeigte
Dokumente und Marken vor, aber er war eine arme Seele, dessen halbe Familie im Krieg umgebracht worden war. Er nannte es Gerechtigkeit
und stieß auf andere arme Seelen, die nichts weiter wollten als Gerechtigkeit – säuberlich verpackt in Samt und Seidenpapier,
damit nichts aneinanderstoßen konnte. Es passierte, was unausweichlich war: Eine arme Seele landete im Fluss und blieb tagelang
unter Wasser. Andere kämpften gegeneinander, mit jedem Streit wurde der Legende vom Schatz neue Energie zugeführt. In den
Jahren, in denen alle arm waren, träumten sie den Traum vom Schatz, der sie mit einem Schlag auf die Stufe von Gutsherren
befördern würde. In den fünfziger Jahren begann der Wiederaufbau und anderes rückte in den Vordergrund. Aber vergessen wurde
der Schatz nie, immer gab es einen, der auf die Suche ging. Es fanden sich ja immer wieder Hinweise: Briefe, Erzählungen,
Gerüchte, Karten. Irgendwann zog der erste in eine Hütte, die lange leergestanden hatte und begann, sie in ihre Einzelteile
zu zerlegen. Fünf Jahre war nur gegraben worden, jetzt wurde auch über der Erde gesucht.
1975, im Jahr des dreifachen Mords, kam der blutjunge Brügge ins Dorf. Der Erste, der ihm über den Weg lief, trug Schippe
und Hacke über der Schulter, er war auf dem Weg, den Seitenflügel eines Hauses am Waldrand zu zerlegen.
Brügge widmete sich der letzten Keule und war deshalb nicht mehr ansprechbar.
|191| »Wieso heute noch?«, fragte die Kommissarin. »Man sollte meinen, es ist alles umgedreht worden.«
»Sie kennen die Antwort doch«, sagte Macciato. »Solange der Schatz nicht gefunden worden ist, wird immer einer suchen. So
ist der Mensch nun mal veranlagt.«
»Haben Sie die Hütte damals wirklich beim Glücksspiel gewonnen?«
»Und wenn nicht? Belastet mich das?«
Küchenmeister sagte: »Es wäre ein Indiz für Ihre Gier. Es wäre der Beweis dafür, dass die blutigen Ereignisse der letzten
Tage sich nicht zugetragen hätten, wenn Irena und Bordon nicht zur Schatzsuche hergeschickt worden wären.«
»Das ist unfair«, protestierte Macciato.
»Mag sein. Ändert aber nichts an Ursache und Wirkung. Ihre Gier ist der Anfang einer Kette, an deren Ende ein Verbrechen steht.«
Macciato zog sich auf den formalen Standpunkt zurück. Die Suche nach einem Schatz sei nicht illegal, wenn man dabei keine
Rechtsbrüche beging. Das Haus sei sein Eigentum, er dürfe damit machen, was er wolle.
Irena wurde gefragt, ob sie zu Rechtsbrüchen aufgefordert worden sei. Sie bestritt das und betonte, dass sie auch nichts dergleichen
aus eigenem Antrieb getan habe.
Womit man bei Bordon war. Über den Irena nur begrenzte Aussagen machte. Wie weit hatte er es mit der Schatzsuche getrieben?
War er jemandem auf den Fuß getreten? Hatte er Bewohner belästigt oder unter Druck gesetzt?
»Sie wussten, dass die beiden pleite sind«, sagte der Kommissar zu Macciato. »Was haben Sie ihnen versprochen, wenn ihre Suche
Erfolg hat?«
|192| »Ich habe niemanden zum Rechtsbruch aufgefordert.«
»Wie gut es tut, diese Worte zu hören! Vor allem aus Ihrem Mund. Aber vielleicht haben Sie ja gar nicht gesagt: Durchsucht
Haus für Haus, und wenn das Dach den armen Bewohnern zehnmal auf die Fontanelle fällt. Vielleicht haben Sie ihnen einfach
den Mund wässrig gemacht?«
Irena bestritt das. Aber sie konnte nichts bestreiten, was unter vier Augen zwischen Macciato und Bordon vorgegangen sein
mochte.
In Macciato arbeitete es. Er brauchte noch einen kleinen Anstoß.
»Erklären Sie mir eins«, sagte die Kommissarin. »Die Hütte steht leer, sie gehört Ihnen. Warum so kompliziert, wenn es auch
einfach geht? Sie sind ein Mann der Tat. Warum mieten Sie nicht fünf starke Männer und lassen die Hütte abreißen? Warum sind
Sie so passiv?«
»Ich bin doch nicht passiv. Das hat mir ja noch nie jemand vorgeworfen. Ich habe gesucht, das ist einige Jahre her.«
Er nannte eine Adresse, Marvin bestätigte, dass es das Haus gab. Eine alte Frau wohnte darin allein, seitdem ihr Mann vor
zwei Jahren gestorben war – im Alter von über 70. Im Krankenhaus. So
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