Die hölzerne Hedwig
die Hebamme zur Feier des Tages eine Neuentwicklung aus den letzten Monaten ausgeschenkt. Sie weigerte sich
so hartnäckig, die Kommissarin kosten zu lassen, bis die ihren Dienstausweis auf den Tisch legte und sagte: »Ich konfisziere
alles, was auf dem Tisch steht. Verdacht auf illegalen Drogenbesitz.«
Sie kriegte ihr Glas, trank und drehte den Ausweis um.
»Packen Sie doch ein paar Flaschen in Ihren Kofferraum und verticken Sie sie an Ihre Freier.«
Die junge Karolina brach ab, weil sie den Braten roch.
»Das haben Sie auch vor«, sagte sie beeindruckt. »Deshalb sind Sie hier.«
»Ihnen kann man nichts verschweigen. Die Gerechtigkeit ist bei Ihnen in den besten Händen«, sagte Macciato anerkennend.
|205| Etwas stimmte nicht an Tonfall und Gesichtsausdruck, aber die alte Hebamme meldete sich zu Wort und lenkte die Fahnderin ab,
indem sie sagte: »Ich bin zu alt, um noch reich werden zu wollen.«
»Schade«, sagte Macciato. »Dabei ist die Idee so schön. Heide plus Esoterik plus Vollmond plus unverdorbene Natur.«
»Ein Schuss Hexerei!«, rief die junge Karolina und freute sich über die anerkennende Reaktion der beiden.
Klopfen an der Tür. Mit dem Zeigefinger machte Marvin eine auffordernde Bewegung und war wieder verschwunden. Genug Unverfrorenheit
für den nächsten Anschiss.
Vor dem Haus stand der hässlichste Golf, den die Kommissarin jemals gesehen hatte. Aufgemotzt, verdreckt, Metallic-Lackierung.
Der Wagen dampfte, der Motor klopfte. Am Wagen lehnte ein junger Mann, nicht mehr ganz schlank, Knopf im Ohr, Zigarette im
Mundwinkel. Marvin wies auf den Burschen und rief: »Täterätä! Begrüßt mit mir meinen Freund Kevin, den Wahrheits-Doktor!«
Kevin grüßte lässig und sagte: »Was geht ab?«
Gestern Abend war er Richtung Görlitz aufgebrochen: auf dem kürzesten Weg und schneller als erlaubt. In Görlitz hatte er eine
Mahlzeit eingenommen, im Nachtklub »Karawane« ein alkoholfreies Getränk konsumiert und das Lächeln von zwei jungen Damen abgewehrt,
noch bevor sie ihrem Wunsch Nachdruck verleihen konnten, gemeinsam eine Flasche Sekt zu trinken, deren Preis auf der Getränkekarte
unsichtbar blieb, weil es zu schummrig war. Kevin hatte sich eine Quittung geben lassen, mit Datum und Unterschrift und dann
war er zurückgefahren. Diesmal hatte er nicht den |206| kürzesten Weg gewählt, sondern den mit den längsten Anteilen an Autobahn-Fahrt.
»Fazit: Man kann im Verlauf einer Nacht beide Strecken schaffen, von Görlitz nach hier und retour.«
Bescheiden nannte Kevin die Durchschnittswerte: 124 km/h für die Hinfahrt, 122 für die Rückfahrt überwiegend auf der Autobahn,
aber auch bei mehr Verkehr. Er hatte den Benzinverbrauch parat, aber der fand wenig Interesse.
Die Kommissarin trat an den dampfenden Boliden. Angeblich war er zehn Jahre alt, im besten GTI-Alter. »Vorher ist der gar
nicht eingefahren«, behauptete Kevin.
Die Kommissarin setzte sich hinters Steuer. Auch ein Laie erkannte, mit welcher Sorgfalt das Armaturenbrett gepflegt wurde.
Zu viel türkis für ihren Geschmack, aber sie war nüchtern genug, um die neue Information zu bedenken. Es war also möglich,
gegen 16 Uhr in Görlitz zu starten, gegen 21 Uhr hier zu sein, das zu erledigen, was nicht warten konnte und so zügig durch
die Nacht gen Osten zu fahren, dass man um vier im eigenen Bett liegen konnte.
Macciato stand neben ihr. »Das können Sie vergessen«, sagte er. »Ich bin mit meinem Liebling noch nie schneller als 140 gefahren.
Der geht kaputt, wenn ich schneller fahre.«
»Okay, nicht mit dem Jaguar. Wie viele Autos laufen denn über Ihre Bücher? Sollten Sie der einzige Nachtklubbesitzer sein,
der keinen Sportwagen besitzt? Raus damit, welche Rakete haben Sie? Ich frage nur aus Höflichkeit. Rauskriegen kann ich es
allein.«
Er war Besitzer eines Aston Martin. Sie sagte ihm auf den Kopf zu, dass er keine zwei Minuten brauchen würde, um sich fünf
Porsches von Gestalten zu leihen, die ihm keinen |207| Wunsch abschlagen durften. Sie sah, wie er Marvin musterte. Der junge Bursche war so stolz, dass er Macciatos Blick nicht
bemerkte.
»Ich sehe Sie«, sagte die Kommissarin.
Ohne den Blick von Marvin zu wenden, murmelte Macciato: »Ich bin Schatzsucher und kein Mörder.«
Sie glaubte ihm. Aber falls in der Tatnacht der Schatz von Bordon gefunden worden war, konnte beim Treffen von Bordon und
Macciato eine brisante Gemengelage entstanden sein: Gier, Forderung nach einem
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