Die hölzerne Hedwig
über die geringsten sozialen Fähigkeiten verfügt.«
»Warum beklagen sich die Leute dann nicht über ihn? Ich habe im Dorf noch keine einzige negative Äußerung über Karl gehört.«
»Weil er auch im Bluffen sehr talentiert ist. Kümmern Sie sich nicht zu viel um den Jungen, der raubt Ihnen erst Zeit und
dann die Nerven. Suchen Sie lieber Ihren Mörder und kehren Sie in Ihre übersichtliche Stadt zurück, wo Sie die Spielregeln
kennen und die Menschen Respekt vor Ihnen haben.«
»Haben die Leute hier keinen Respekt vor der Polizei?«
»Mit Verlaub, Frau Kommissarin: Aber es gehört nicht viel dazu, schlauer zu sein als Ihre Kollegen vor Ort. Nein, hier macht
jeder sein Ding, und die Polizei achtet darauf, dass wir unsere Ruhe haben.«
Bis zum Schluss erfuhr die Kommissarin nicht, was Bordon mit Karl angestellt hatte. Die Aktion ergab ja auch keinen Sinn –
es sei denn, Bordon hätte Karl massiv bedroht. Aber das hätte sich Karl nicht bieten lassen. Was also dann? Kassian wusste
es angeblich nicht. Auch Irena, die anschließend befragt wurde, musste passen. Sie wusste von zwei oder drei Treffen der Männer.
Sie wusste auch, dass Bordon von Kassian Geld bekommen hatte, über dessen Zweck sich Bordon nur vage geäußert hatte.
Ein drittes Gespräch mit Karl. Der tat so, als könne er sich an den Vorfall nicht erinnern, bevor er sagte: »Langsam dämmert
mir, worauf Sie anspielen. Das war nichts. Das war eine der vielen dummen Ideen meines Vaters. Ich kann froh sein, dass er
mir keinen Pfarrer auf den Hals gehetzt hat.«
|229| Vor zwei, drei Jahren hatte sich die erste große Liebe von Karl gemeldet, um mit ihm von alten Zeiten zu schwärmen, bevor
sie zugab, Karl im Auftrag von Kassian weichklopfen zu wollen.
»Sie wird er auch noch losschicken«, behauptete Karl. »Vielleicht bietet er Ihnen kein Geld, obwohl er das am besten kann.
Bei Ihnen wird er’s mit Herumsülzen versuchen. Vergeudetes Talent, der Junge braucht Führung, so in dieser Richtung.«
»Und Bordon? Welche Taktik hat er gewählt?«
»Gespräche unter Männern. Selten so gelacht.«
Sie wollte es genauer wissen, aber er beließ es dabei. Wie Karl den Verlust des Hundes verkraftet habe? Problemlos, nachdem
er sich entschlossen hatte, seinem Vater die Schuld zu geben.
»Ihr beide seid ein tolles Vater-Sohn-Gespann«, sagte die Kommissarin. »Beide Rechthaber, beide eitel, beide von sich überzeugt.
Ihr braucht einander, ihr dürft euch nie trennen.«
»Will ich auch nicht. Er ist es, der mich wegschicken will.« »Aber in zehn Jahren darfst du wiederkommen.«
»Hat er das gesagt?«
»Er hat gesagt: in 30 Jahren.«
»Weil er dann jemanden braucht, der ihm den Hintern abwischt.«
»Karl, warum sperren Sie sich? Macht Sie die Welt da draußen gar nicht neugierig? Sie können doch tun und lassen, was Sie
wollen. Reisen und Geld einkassieren, er frisst Ihnen doch aus der Hand. Sie haben ungeheure Macht über Ihren Vater.«
»Das behauptet er, um besser Druck ausüben zu können.«
|230| »Haben Sie über Bordon Leute kennengelernt?«
»Was meinen Sie?«
»Jemanden aus Bordons Bekanntenkreis. Jemanden, den Sie ohne Bordon nicht getroffen hätten.«
Er dachte nach und schüttelte den Kopf. Sie hatten ein Fußballspiel in der Kreisstadt besucht, Werder Bremen im Trainingslager,
mit allen Cracks. Dafür hatte Karl sogar einen Ersatz-Schäfer angeheuert. Auf dem Platz hatten einige Männer Bordon zugenickt
und er ihnen. Kein Gespräch, auch keine Frau. Überhaupt keine besonderen Vorkommnisse.
Es gab Augenblicke, in denen Macciato dachte: Lass es gut sein für heute. Aber die Augenblicke waren kurz, und das Glas stand
immer in Reichweite, und die Jungen hingen an ihm und bettelten um Führung. Er musste trinken, um etwas zu haben, was ihn
von seinem Unglück ablenkte. So lange hatte er wissen wollen, was er seit heute wusste, und jetzt konnte er damit nicht umgehen.
Er fürchtete nicht den Tod und nicht das Sterben, er fürchtete, dass es schleichend geschehen und alle ihn dabei beobachten
würden, wie er das Einfache nicht mehr bewältigte: gehen, stehen, zugreifen, Gläser halten, Messer und Gabel zum Mund führen.
Er würde zu einer lächerlichen Figur werden und niemandem verraten können, warum es so war, denn wenn du ein Leben lang stark
gewesen bist, kannst du nicht einfach den Schalter umlegen.
Zuletzt war er nicht mehr so stark gewesen wie einst. Das Duell mit dem Schatz hatte er
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