Die hölzerne Hedwig
eine Frage? Mein Sekretariat wird Ihnen einen Termin in sechs Wochen geben.«
Sie waren oberflächliche Gesellen, denen die Harmlosigkeit ins Gesicht geschrieben stand – selbst den Gewieften, die fixer
waren, aber nichts Besseres daraus machten, als nebenberuflich Bausparverträge zu verkaufen. Einmal im Jahr machte eine neue
Direktverkaufs-Masche die Runde durch die Dörfer, bei der man es sich mit allen Freunden und Verwandten verdarb und sich schwor,
nie mehr auf diesen Betrug hereinzufallen – bis zum nächsten Mal.
Durch die Dörfer bewegte sich eine Karawane aus Betrügern und Tricksern. Sie klingelten an jedem Haus: Wintergärten, Dacheindeckungen,
Teppiche, todsichere Geldanlagen und alles, was geeignet war, Häuser mit hässlichen Accessoires zu verunstalten.
»Um die sollte sich die Polizei mal kümmern«, forderten die jungen Leute. In jeder Familie gab es einen, der gutes Geld an
windige Geschäftszwecke verloren hatte. Aber um die ging es jetzt nicht, jetzt ging es um einen Mord und einen Mörder. Die
Chance, dass es sich um Totschlag handelte und die Tötung nicht geplant gewesen war, bestand zwar. Aber es hatten |220| sich bisher keine Indizien gefunden, die dieser Theorie Kraft und Wahrscheinlichkeit verliehen.
Als Kassian sich endlich von Macciato getrennt hatte, tobte sich der Geschäftsmann beim Tanzen aus und war nicht ansprechbar.
Die Kommissarin musste mit Kassian vorlieb nehmen.
»Na«, sagte er kampflustig, »das haben Sie nicht geahnt, wie gastfreundlich wir auf dem Land sind? Sie haben doch geglaubt,
wir hätten sechs Finger an jeder Hand und essen mit Händen und Füßen.«
Aber die Kommissarin ließ sich nicht aufs Glatteis locken: »Wissen Sie, was seltsam ist? Ich habe Sie keine Sekunde im Verdacht
gehabt, mit dem Mord etwas zu tun zu haben. Dabei hätten Sie die besten Voraussetzungen, so eine Tat zu begehen.«
»Sie meinen: so eine Tat zu vertuschen?«
»Sie sind hochintelligent, Sie denken strategisch, Sie handeln nicht übereilt, Sie haben Heimvorteil und wissen Dinge, die
ich nach acht Wochen täglicher Recherche nicht wüsste. Sie besitzen Geld, um sich Menschen gefügig zu machen. Sie können anderen
Menschen ein Ohr abreden. Die Einheimischen haben vor jemandem wie Ihnen Respekt.«
»Ich will nur ihr Freund und guter Nachbar sein.«
»Das werden Sie nie schaffen, man wird Sie bestenfalls akzeptieren. Weil Sie Vorteile für den Ort bringen.«
»Sie können einem wirklich Mut machen.«
»Ihr schwacher Punkt ist ihr Sohn. Sie liegen mit ihm im Clinch und das Dorf kriegt das mit. Nicht weil Vater oder Sohn darüber
reden, sondern weil es schon so lange geht und weil so etwas nicht verborgen bleibt. Außerdem leben Sie mit |221| drei Menschen zusammen, die bestimmt die eine oder andere Bemerkung fallen lassen. Ich rede nicht von Klatsch im Treppenhaus.
Nur eine Bemerkung nebenbei und vier Wochen später noch eine, und ehe du dich versiehst, hat jeder Nachbar eine Meinung. Das
macht Sie zu einer öffentlichen Figur. Deshalb müssen Sie sich vorsehen. Deshalb hat man sie auch nie mit Bordon gesehen.
Nicht weil Sie sich nie getroffen hätten, sondern weil Sie die Treffen sorgfältig getarnt haben. Man trifft sich in der nächsten
Stadt, im Wald, an den Teichen, in einer Hütte. Es ist einfach. Hier leben wenige Menschen, und es gibt so viele Orte.«
Erneut betonte er, keinen Kontakt mit Bordon gehabt zu haben. Angeblich habe er ihn interessant gefunden. Dem Mann habe man
an der Nasenspitze angesehen, dass er voller Geschichten stecken würde.
»Ach ja«, setzte die Kommissarin hinzu, »einen Verdacht habe ich doch gegen Sie.«
»Ich habe heimlich eine Freundin im Dorf.«
»Das wäre nur menschlich. Ich glaube, Sie halten alles fest, was Sie erleben. Eines Tages kommen Ihre Memoiren auf uns zu.
›Mein Leben unter Wilden‹.«
»Wie finden Sie ›Hölle, Heidjer, Hasenbraten‹? Aber ich bin natürlich empört. Ich betrachte mein Leben hier doch nicht als
groß angelegten Feldversuch. Man hat mich aufgenommen, als ich leer und ausgebrannt war. Man hat mich in Ruhe gelassen, aber
ich wusste, dass die Leute da sein würden, wenn ich sie brauchte. Man sieht sie nicht, wochenlang nicht. Aber wenn du auf
allen Vieren kriechst, weil du einen Infarkt kriegst oder das Geschwür durchgebrochen ist, kommen sie |222| auf den Hof gerannt und versorgen dich. Ich könnte heulen, so rührend finde ich das.«
»Ist das schon mal
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