Die hölzerne Hedwig
Ehefrau vorgestellt hatte und bei der Gelegenheit auch gleich neu geborene Zwillinge und ein
Haus mit Blick auf den Atlantik. Die Kommissarin hatte schon abgeschaltet, als er noch hinzufügte: »Liebenswürdige Amerikaner,
ungeheuer hilfsbereit. Als Karl drüben war, musste er bei ihnen wohnen. Das hätten sie mir sonst nie verziehen.«
Karl stützte sich auf den Stock und sagte: »Ich war noch niemals in New York.«
Küchenmeister hasste Musicals.
»Sie hätten uns mehr darüber erzählen sollen«, sagte die Kommissarin.
»Wieso denn?«
»Weil wir schneller vorangekommen wären.«
»Muss ich das verstehen?«
»Sie verkaufen doch Schaffelle?«
»Nein.«
|246| Kaum Schwung geholt, schon die Vollbremsung.
»Aber Sie verschenken ab und zu ein Fell«, beharrte Küchenmeister.
Für die Felle waren die Schwestern verantwortlich. Sie hatten ihm eingeredet, die Felle auf Märkten anbieten zu lassen. Er
hatte nichts davon gehalten, aber vor einem Jahr habe man eine Art Probelauf durchgeführt und die Sache habe sich gut angelassen.
Karl hatte sich ursprünglich geweigert, Geld anzunehmen, aber sie hatten darauf bestanden, nun teilte man eben den Gewinn,
den er »Reibach« nannte. Es sei ein Spaß, mehr nicht. Zwei Felle pro Woche, manchmal weniger.
Marvin stieß zu ihnen, sein neuer vierbeiniger Freund umsprang ihn. Die Hütehunde begrüßten ihren Artgenossen nicht freundlich,
Marvin musste Sicherheitsabstand halten.
Die Kommissare kamen auf Karls Reise in die USA zu sprechen, 14 Tage mit Besuch bei einer Landkommune, die ihm von Freunden
empfohlen worden sei. Ja, man habe sich gut verstanden, privat seien Amerikaner angenehme Zeitgenossen. Das würde man gar
nicht glauben, wenn man sie nur im Fernsehen sähe.
»Freundschaften geschlossen?«, fragte Küchenmeister leutselig. »Bisschen bei den Cheerleadern reingerochen?«
»Sagen Sie schon, worauf Sie hinauswollen. Das Grinsen sprengt Ihnen sonst noch Ihr Gesicht.«
»Laura.«
»Oh.«
»Laura.«
»Ja, ja.«
»Erinnert Sie an etwas oder?«
Karl überlegte seine Strategie der folgenden Minuten. Es |247| war spannend, ihm dabei zuzusehen. Falls er vorhaben sollte, eine Umgehungstaktik zu wählen, würde er auflaufen. Die beiden
Ermittler waren seit Tagen ausgehungert nach Fortschritten. Sie würden ihn nicht mehr vom Haken lassen.
»Wir haben zwei Möglichkeiten«, sagte die Kommissarin. »Wir können fragen, oder Sie erzählen freiwillig. Den zweiten Weg würde
ich für eine vertrauensbildende Maßnahme halten.«
»Ich auch«, krähte Marvin.
Küchenmeister zischte: »Fass!«
Aber die Hunde gehorchten nur ihrem Leittier.
Laura war Karls Affäre in den USA gewesen. Am ersten Abend kennengelernt, bis zum Abflug nicht mehr getrennt. »Raserei« nannte
Karl das.
»Ihr Vater wäre stolz auf Sie«, behauptete der Kommissar.
Aber der Vater wusste es nicht, niemand wusste es. Karl konnte Geheimnisse in sich einschließen. Mit dem Rückflug war die
Beziehung für ihn beendet gewesen, denn die Alternative wäre der Abschied von der Schäferei gewesen. Die Kommissarin hielt
das nicht für die schlechteste Lösung, aber sie schwieg, denn wenn Karl mehr als zwei Sätze hintereinander redete, sollte
man ihn nicht unterbrechen.
Auf dem Flughafen hatten sie sich geschworen, Kontakt zu halten. Um sie herum standen zehn Paare, die sich das Gleiche schworen.
Danach hatten sie zweimal telefoniert, sachlich beim ersten Mal, melancholisch und ein wenig pampig beim zweiten Mal. Karl
hatte bis zuletzt nicht herausgefunden, welche Droge sie intus hatte. Danach war es vorbei gewesen, und es war ihm recht so.
Bis zur letzten Woche.
|248| »Sie tauchte plötzlich aus dem Nichts auf, genau wie Sie«, sagte er zur Kommissarin. »Nur dass sie in ihrem Zustand klugerweise
nicht auf dem Pferd saß.«
Unerwartet hatte Laura auf dem Weg gestanden, Karls erster Gedanke war gewesen: Du bist der Vater. Dafür schämte er sich noch
heute. Nicht nur weil es rechnerisch nicht möglich gewesen wäre, sondern weil es ein egoistischer Gedanke war.
Ihm war unerklärlich, wie Laura ihn gefunden hatte. Er hatte ihr nie gesagt, wo er lebte. Detaillierteres als »Niedersachsen«
und »Heide« war ihm nie über die Lippen gekommen, obwohl Laura das Land gut zu kennen schien, wenn auch nicht aus eigenem
Erleben. Ihre Vorfahren waren vor dem Ersten Weltkrieg aus Württemberg in die USA emigriert, in der Familie sprach man bis
heute Deutsch. Laura war
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