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Die hölzerne Hedwig

Die hölzerne Hedwig

Titel: Die hölzerne Hedwig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: zu KLAMPEN
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ausgestrecktem Arm |240| zur Seite, weil sie vermeiden wollte, dass sie ihr Gesicht berührten.
    Drinnen tobte das Leben. Die Schiefertafel vor dem Eingang hatte angekündigt, was der Geruch einlöste: Fett aus der Fritteuse,
     Teller auf Plastikdecken. An vier Tischen saßen sie und absolvierten die wöchentliche Riesencurry-Olympiade. So sah es aus,
     wenn sich Ganzjahres-Camper ihre Langeweile vertrieben. Die Wintersaison konnte lang sein und einem doppelt so lang vorkommen.
     In der Kneipe hielt sich kein einziger Mensch auf, der jünger als 45 war. Viele waren über 60, aber gesund und kregel wirkten
     alle. Die meisten trugen Trainings- oder Hausanzüge.
    Auf das neue Gesicht reagierten sie wie elektrisiert, nicht nur die Männer. Fast alle waren grau und weißhaarig. Von allen
     Tischen flog der Kommissarin das Angebot einer Gratismahlzeit zu. Sie hatte nichts gegen Currywürste, wusste aber, dass sie
     in dem Moment, in dem sie sich das erste Wurststück in den Mund schieben würde, beruflich gescheitert war.
    Die Frau mit dem unglaubwürdigsten Haarblond war die Wirtin. Sie rauchte extralange Zigaretten und sagte zur Begrüßung: »Hoffentlich
     sind Sie nicht von der Polizei, dann darf ich nämlich nicht rauchen.«
    »Sie werden lachen: Ich bin von der Polizei, und Sie dürfen gerne weiterrauchen.«
    Die Olympiade kam zum Erliegen, die Kommissarin stand vor dem angebotenen Platz und brachte die Anwesenden auf den aktuellen
     Stand der Ereignisse. Was dann folgte, beruhigte die Besucherin sehr. Einerseits waren die Dauercamper bestürzt, andererseits
     hilfsbereit. Was fehlte, waren flapsige Bemerkungen und dumme Witze. Kommissarin Wiese hatte |241| in der Vergangenheit quälende Stunden damit verbracht, enthemmte Runden zu halbwegs humanem Verhalten zu überreden. Zwar hielt
     sie es für bewiesen, dass sie ihr allein schon für die Ablenkung von ihrem eintönigen Dasein dankbar waren. Doch waren sie
     so anständig, einen Mord furchtbar zu finden, und das Schicksal des Säuglings ging ihnen nahe.
    Das Frage- und Antwortspiel dauerte eine Frage lang. Eine Schwangere? Aber sicher, die mit dem Amerikaner, ihr wisst doch.
     Angekommen vor sieben oder acht Tagen, auf einem Gästeplatz hatten sie angedockt, niemand hatte die Abreise mitgekriegt –
     ein seltenes Ereignis. 500 Plätze für Wohnwagen und Wohnmobile, davon 250 belegt, von denen 40 zurzeit bewohnt waren. Zertifiziert
     nach EU-Regeln, die Sanitäranlagen gehörten zu den 50 Besten in Deutschland.
    Ein Silbermännchen mit Klobrillen-Bart nannte die Typenbezeichnung des Wohnmobils. Vereinzelt wurde Beifall geklatscht, offenbar
     hatte er einen Ruf zu verteidigen. Am Tisch sitzend, fand sich die Kommissarin umringt von allen Anwesenden. Sie saßen und
     standen und zogen Stühle heran. Der Mann hatte auswärts gesprochen, Englisch wohl, aber nicht wie ein Engländer. Wie ein Amerikaner?
     Gut möglich, denn so hatte er auch ausgesehen: in den Dreißigern, sportlich, gut gebaut und sehr um seine Frau besorgt, die
     Schwangere. Sie sprach Englisch und Deutsch, Englisch besser, aber ihr Deutsch klang nicht so eingerostet wie bei manchen,
     die einst weggezogen waren. Sie hatte einen deutschen Namen genannt, wie Meyer, aber nicht genau so. Deier, Dreier, Weyer.
     Jedenfalls zwei Silben und mit »ei«.
    In den Büchern würden die beiden garantiert nicht auftauchen, |242| das wussten alle Anwesenden, auch wenn sie gar nichts mit der Buchführung zu tun hatten. Sie hatten bar bezahlt, das war allen
     aufgefallen, denn aus dem Fernsehen wussten sie, dass Amerikaner selbst Kaugummis mit Kreditkarte bezahlen. Die Wirtin stellte
     klar, dass sie keine Kreditkarten annehmen werde, bis zu ihrem letzten Arbeitstag nicht. Einige Gäste griffen in Hosen- und
     Jackentaschen und hielten der Kommissarin Münzhaufen entgegen. Nur mit Hartgeld kam man hier über die Runden. Wieder wurde
     eine Spur zur Sackgasse.
    Sie bat die Camper, sich an den Namen zu erinnern. An der Schiefertafel, die in der Saison für Nachrichten und Ankündigungen
     von Veranstaltungen genutzt wurde, listete ein Mann auf, was man ihm zurief. Sie kamen auf 45 Namen, von denen sie fünf für
     wahrscheinlicher als die anderen hielten. Aber die Lösung war nicht dabei. Der Mann hatte seine Frau »Darling« genannt, daran
     immerhin gab es keinen Zweifel; auch nicht an seiner Vaterschaft. Er war rührend besorgt, so sehr, dass seine Fürsorge der
     Frau einige Male auf die Nerven gegangen war. Sie

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