Die Hofnärrin
inmitten
einer Welt lebte, in der man begann, Fragen zu stellen, die inmitten
einer Zeit lebte, in der die Menschen glaubten, dass Fragen das
Wichtigste waren. Und wer mochte voraussagen, wohin uns diese Fragen
eines Tages führen würden? Die Tabellen, die über meinen Vater zu John
Dee gekommen waren, mochten vielleicht eine Arznei enthalten, mit der
die Pest zu kurieren war, sie konnten geheime Berechnungen enthalten,
mittels derer man die genaue Position eines Schiffes auf See bestimmen
konnte, sie mochten uns verraten, wie der Mensch fliegen konnte oder
das ewige Leben erlangen. Ich konnte doch nicht wissen, was ich hier in
Händen hielt. Ich hätte es ebenso wenig zerstören können wie ein
Neugeborenes töten, ein Wesen, das in sich wertvoll ist und voller
unbekannter Versprechen.
Schweren Herzens nahm ich die beiden Bücher und versteckte sie
hinter den harmloseren Titeln auf meines Vaters Bücherregal. Bei einer
Hausdurchsuchung könnte ich ja so tun, als wüsste ich von nichts. Den
gefährlichsten Teil des Pakets hatte ich ja bereits vernichtet: das
Packpapier, auf dem John Dees Namen in meines Vaters Handschrift stand.
Mein Vater war in Sicherheit, weit fort in Calais, und nichts konnte
uns direkt mit Mr. Dee in Verbindung bringen.
Ich schüttelte den Kopf, müde der Lügen, mit denen ich mich zu
beruhigen trachtete. In Wahrheit gab es ein Dutzend Dinge, die mich mit
Mr. Dee in Verbindung bringen konnten, falls jemand sich die Mühe
machte, nach ihnen zu suchen. Es gab auch ein Dutzend Verbindungen
zwischen dem Gelehrten und meinem Vater. Ich war bekannt als Hofnarr
Lord Roberts, als Närrin der Königin, als Gefährtin der Prinzessin, ich
stand in Verbindung mit jedem, dessen Name in Gefahr war. Ich konnte
nur hoffen, dass mein buntscheckiges Narrengewand mich verbarg, dass
die See zwischen England und Calais meinen Vater abschirmte, und dass
Mr. Dee von seinen Engeln geleitet wurde – die ihn auch
hoffentlich dann noch beschützen würden, wenn er auf der Streckfolter
lag oder wenn seine Gefangenenwärter ihm das brennende Scheit gaben und
ihn anwiesen, es zum Scheiterhaufen zu tragen.
Ein karger Trost für ein Mädchen, das seine Kindheit auf der
Flucht verbracht hatte und seinen Glauben, sein Geschlecht, sein Selbst
hatte verbergen müssen! Doch mir blieb nichts anderes übrig, als mich
wieder auf die Flucht zu begeben. Meine Angst davor, England zu
verlassen, war allerdings größer als der Schrecken, gefangen genommen
zu werden. Als mein Vater mir versprochen hatte, dies werde künftig
meine Heimat sein, hier würde ich gut aufgehoben sein, hatte ich ihm
geglaubt. Als die Königin meinen Kopf in ihren Schoß genommen und meine
Locken um ihre Finger gewickelt hatte, hatte ich ihr vertraut wie
meiner Mutter. Ich wollte England nicht verlassen, ich wollte die
Königin nicht verlassen. Ich bürstete mir den Staub vom Wams, rückte
meine Kappe gerade und schlüpfte hinaus auf die Straße.
Vor dem Frühstück gelangte ich zurück nach Hampton Court. Ich
lief vom Fluss durch den verlassenen Park zum Palast und betrat ihn
durch den Stalleingang. Jeder, der mich zu Gesicht bekam, hätte
geglaubt, dass ich einen frühen Morgenritt gemacht hätte, wie ich es
oft zu tun pflegte.
»Guten Tag wünsche ich«, sagte einer der Pagen, und ich wandte
mich mit dem freundlichen Lächeln des gewohnheitsmäßigen Lügners zu ihm
um.
»Guten Tag«, erwiderte ich.
»Und wie geht es der Königin heute Morgen?«
»Sehr gut.«
So wie die Vorhänge vor den Fenstern ihrer
Kammer durch die Sonne ausblichen, wurde auch die Königin zusehends
blasser und schwand mit jedem Tag des zehnten Monats dahin. Elisabeth
hingegen schien mit wachsender Zuversicht jeden Tag strahlender zu
werden. Wenn sie in die Wochenbettkammer rauschte und sich auf einem
Stuhl niederließ, um fröhlich zu plaudern, zur Laute zu singen oder
unglaublich feine Babykleidung zu nähen, schien die Königin unsichtbar
zu werden. Ihre junge Halbschwester war eine strahlende, funkelnde
Schönheit, selbst wenn sie den Kopf mit der flammenden Haarpracht
bescheiden über eine Näharbeit beugte. Neben ihr wurde Maria, die stets
eine Hand auf den Leib legte in der Erwartung, dass das Kind sich rege,
zu einem bloßen Schatten degradiert. Während die Tage des langen,
langen Juni verstrichen, wurde sie zu einem Schatten, der auf die
Geburt eines Schattens wartete. Sie schien kaum vorhanden, das Baby
schien kaum vorhanden. Beide schwanden dahin.
Der König war
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