Die Hofnärrin
Kinder und
berichteten, dass wieder nichts geschehen sei, den ganzen Tag nicht.
Und die Königin schien der Geburt nicht näher zu sein als vor zwei
Monaten, als sie sich zurückgezogen hatte.
Nur Elisabeth schien die angespannte Atmosphäre im Palast
nichts anhaben zu können, sie schritt auf flinken Beinen durch den
Park, ihr Kupferhaar wehte, ihre Hände hielten ein Buch. Niemand
begleitete sie auf ihren Gängen, niemand wagte es, sich öffentlich zu
dieser höchst eigenwilligen Prinzessin zu bekennen, doch allen war mehr
denn je bewusst, dass Elisabeth beim derzeitigen Stand der Dinge die
nächste Anwärterin auf den Thron war. Sollte Maria einen Sohn gebären,
wäre ihr dieses Erbe versagt, doch solange es keinen Sohn gab, war sie
die nächste Königin. Aber ob nächste Herrscherin oder unbequeme
Prinzessin – der König konnte einfach nicht die Augen von ihr
wenden.
Bevor er am Abend an der Tafel die Augen schloss und andächtig
das Dankgebet sprach, neigte er den Kopf vor Elisabeth, des Morgens
lächelte er ihr zu und wünschte ihr einen guten Tag. Bei den seltenen
Bällen nahm Elisabeth neben den jungen Hofdamen Aufstellung, und
Philipp lehnte sich im Stuhl zurück und beobachtete sie, den Blick
verschattet, die Miene ausdruckslos. Sie hingegen hütete sich in jenen
Tagen vor freimütigen Blicken, sie betrachtete ihn nur unter gesenkten
Lidern und befolgte gewissenhaft die Schritte des Tanzes – mit
gerecktem Hals und biegsamer Taille, die sich im Takt der Musik wiegte.
Wenn sie am Ende des Tanzes vor dem verlassenen Thron ihrer Schwester
einen Knicks machte, hielt sie den Kopf gesenkt, doch ihr Lächeln
drückte absoluten Triumph aus. Elisabeth wusste genau, dass Philipp
seine Blicke nicht von ihr wenden konnte, sosehr er sich auch um eine
gleichgültige Miene bemühte. Sie wusste, dass Maria, die verzweifelt
auf den Sohn wartete, kaum noch als Rivalin bezeichnet werden
konnte – doch Elisabeth wollte die ältere Schwester demütigen,
indem sie den Schwager mit vergeblichem Verlangen erfüllte.
An einem kühlen Abend Anfang Juni war ich
auf dem Weg zum Nachtmahl, als jemand meine Hand fasste. Es war ein
kleiner Page aus der Dienerschaft Sir William Pickerings. Mit einem
raschen Blick zur Treppe überzeugte ich mich, dass niemand uns
beobachtet hatte, dann lauschte ich mit gesenktem Kopf seiner
geflüsterten Nachricht.
»Lord Robert lässt ausrichten, dass John Dee verhaftet worden
ist, weil er der Königin das Horoskop gestellt hat«, sagte er, und sein
Atem kitzelte mein Ohr. »Er lässt ausrichten, Ihr sollt sämtliche
Bücher oder Briefe von ihm verbrennen.«
Im nächsten Augenblick war er verschwunden und meine
Seelenruhe ebenso. Ich drehte mich um und trottete in den Speisesaal.
Mein Gesicht war zur Maske erstarrt, mein Herz klopfte wild, und meine
Hand rieb fieberhaft auf meiner Wange herum. Ich konnte nur noch an das
Buch denken, das John Dee meinem Vater gesandt und das dieser an mich
weitergeschickt hatte – es war wie ein Pfeil, der auf unsere
Tür wies.
In dieser Nacht wälzte ich mich schlaflos im Bett. Mir wollte
kein Weg einfallen, wie ich mich schützen sollte, wie ich meines Vaters
Hab und Gut schützen sollte, das immer noch in dem staubigen Ladenlokal
in einer Gasse an der Fleet Street untergebracht war. Was, wenn John
Dee ihnen verraten hatte, dass ich für ihn in das Kristall geschaut
hatte? Was, wenn ein Spion über jenen Nachmittag in Prinzessin
Elisabeths Gemächern berichtet hatte, als John Dee seine astrologischen
Voraussagen über die Zukunft der Königin gemacht hatte? Was, wenn sie
über Sir William Bescheid wussten, dem Kat Ashley versichert hatte, ich
würde Aufträge für ihn und Elisabeth erledigen?
Ich sah zu, wie die bleiche Morgendämmerung vor meinem kleinen
Fenster heraufzog, und um fünf Uhr stand ich auf den Stufen am Flusstor
und suchte das Wasser nach einer Fähre ab, die mich in die Stadt
bringen konnte.
Ich hatte Glück. Ein alter Bootsmann, der sich schon früh zur
Arbeit begeben hatte, hörte meinen Ruf, legte an und nahm mich an Bord.
Der schläfrige Soldat, der den Anleger bewachte, sah nicht einmal, dass
ich unter meiner Livree ein Mädchen war.
»Hast's getrieben?«, erkundigte er sich augenzwinkernd, denn
die frühe Stunde legte nahe, dass ich ein heimliches Stelldichein mit
einer Küchenmagd aus dem Palast gehabt hatte.
»Oh, ja, ganz toll«, erwiderte ich fröhlich und sprang ins
Boot.
Ich entrichtete den Fahrpreis und ging an der
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