Die Hofnärrin
Fleet-Treppe
wieder an Land. Vorsichtig näherte ich mich unserer Straße und
versuchte zu erkennen, ob die Tür unseres Geschäfts aufgebrochen worden
war. Es war so früh, dass unser neugieriger Nachbar noch nicht auf den
Beinen war. Lediglich ein paar Milchmädchen holten ihre Kühe aus den
Hinterhöfen, um sie zur Weide zu bringen. Niemand schenkte mir
irgendwelche Aufmerksamkeit.
Doch selbst jetzt zögerte ich noch lange im gegenüberliegenden
Hauseingang und beobachtete die Straße. Als ich sicher war, dass
niemand mich sehen konnte, überquerte ich das schmutzige Pflaster und
betrat leise den Laden. Rasch schloss ich die Tür hinter mir ab.
In dem Geschäft mit den heruntergelassenen Läden roch es
staubig und muffig. Es sah nicht nach einer Durchsuchung aus, offenbar
hatte niemand den Laden betreten. Ich war also rechtzeitig gekommen.
Das Päckchen, auf dem in meines Vaters Handschrift ›Für Mr. John Dee‹
geschrieben stand, war von unserem Nachbarn angenommen und auf die
Theke gelegt worden; mir schien es verräterisch wie ein Brandmal.
Ich löste die Verschnürung und brach das Siegel auf. Das Paket
enthielt zwei Bücher: eines war eine Zusammenstellung von Tabellen,
die, soweit ich es beurteilen konnte, die Stellungen der Planeten und
Sterne zeigten, das andere ein Astrologieführer in Latein. Diese beiden
Bücher in unserem Geschäft, adressiert an John Dee, der dafür verhaftet
worden war, dass er das Horoskop der Königin gestellt hatte, konnten
sowohl meinen Vater als auch mich wegen Hochverrats an den Galgen
bringen.
Ich trug die Bücher zum leeren Kamin und knüllte das
Packpapier zusammen, um es anzuzünden. Meine Hände zitterten vor Hast.
Ich rieb die Zunderbüchse, ewig, wie mir schien, bis der Funke
aufsprang. Endlich war es so weit, und ich konnte eine Kerze anzünden
und die Flamme an das Papier auf dem Kamingitter halten. Eine Ecke des
Packpapiers fing Feuer. Ich schaute zu, wie die Flamme züngelte, sah
sie hellgelb aufflammen.
Ich nahm ein Buch in die Hand. Ich plante, immer eine Hand
voll Seiten herauszureißen und sie zu verbrennen. Ich packte die erste
Hand voll weicher Seiten. Sie bogen sich unter meinen Fingern weg, als
besäßen sie keinerlei Kraft, als gehörten sie nicht zu den
gefährlichsten Dingen auf dieser Welt. Ich versuchte, die Seiten aus
dem zerbrechlichen Buchrücken zu reißen, doch meine Hand verweigerte
ihren Dienst.
Ich konnte es nicht tun. Und ich würde es nicht tun. Ich
hockte mich auf meine Fersen, das Buch immer noch in der Hand, während
das Feuer flackerte und erstarb, und begriff, dass nicht einmal
Todesgefahr mich dazu bringen konnte, ein Buch zu verbrennen.
Es ging mir gegen jede Faser meines Seins. Ich hatte gesehen,
wie mein Vater manche dieser Bücher durch die ganzen Lande der
Christenheit geschleppt hatte, auf seine Brust gebunden und wohl
wissend, dass die in ihnen enthaltenen Geheimnisse seit Neuestem als
Häresie verpönt waren. Ich hatte gesehen, wie mein Vater Bücher gekauft
und verkauft hatte – ja, mehr noch, wie er sie verschenkte und
verlieh, auf dass ihre Weisheit sich verbreite. Ich hatte seine Freude
miterlebt, wenn er ein vermisstes Werk wiederfand, ich hatte erlebt,
wie er einen verlorenen Folianten auf seinen Regalen willkommen hieß
wie den Sohn, den er nie gehabt hatte. Bücher waren mir Brüder und
Schwestern, ich konnte mich jetzt nicht gegen sie wenden. Ich konnte
nicht eine von jenen werden, die etwas zerstörten, nur weil sie es
nicht verstanden.
Wenn Daniels Freude über die Gelehrsamkeit in Venedig und
Padua in meinem Herz Begeisterung entfacht hatte, so lag es daran, dass
auch ich der Meinung war, eines Tages solle alles Wissen zugänglich
sein und nichts dürfe mehr versteckt werden. Von diesen beiden Büchern
mochte jedes das Geheimnis der ganzen Welt enthalten, den Schlüssel zum
Verständnis aller Dinge. John Dee war ein großer Gelehrter, und wenn er
so viel Mühe auf sich nahm, um diese beiden Werke in die Hand zu
bekommen und sie geheim weiterzuschicken, dann mussten sie in der Tat
sehr wertvoll sein. Ich konnte es nicht über mich bringen, sie zu
vernichten. Wenn ich sie verbrannte, war ich nicht besser als die
Inquisitoren, die meine Mutter getötet hatten. Wenn ich sie verbrannte,
wurde ich eine von jenen, die glaubten, dass neue Ideen gefährlich sind
und vernichtet werden müssen.
Doch ich war nicht eine von ihnen. Selbst unter Lebensgefahr
konnte ich nicht werden wie sie. Ich war eine junge Frau, die
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