Die Hofnärrin
Scheiterhaufen zu schicken, auf
dass dieses Land wieder rein werde. Und dann kommst du – du,
der ich vertraut habe! –, du kommst zu mir, während ich bete,
um mich auf Irrwege zu bringen, damit ich Gott und mein heiliges Werk
zu Seinen Ehren verleugnen soll!«
»Euer Hoheit …« Die Stimme blieb mir im Halse
stecken. Sie erhob sich. Rasch sprang ich auf. Durch das lange Knien
war mein rechtes Bein von einem Krampf befallen: Es rutschte unter mir
weg, und ich blieb mit gespreizten Beinen auf dem Boden hocken. Königin
Maria blickte auf mich herunter, als hätte Gott höchstpersönlich mich
niedergestreckt.
»Hannah, mein Kind, du bist schon auf halbem Wege zur
Todsünde, wenn du mich um so etwas bittest. Wage es nicht, einen
Schritt weiterzugehen – sonst muss ich dich zu den Priestern
schicken, die mit deiner Seele kämpfen sollen.«
Ich roch den Rauch und versuchte mir einzureden, dass es das
Kaminfeuer war, doch ich wusste, es war der Rauch des Scheiterhaufens
meiner Mutter und der Rauch anderer Feuer auf Marktplätzen landauf,
landab. Bald schon würden Bischof Latimer und Bischof Ridley abgeführt
werden, und die Menge würde zusehen, wie Dr. Ridley seinem Freunde Mut
zusprach, denn sie würden eine Kerze in England anzünden, die niemals
verlöschen würde. Wie ein Krüppel kroch ich vor Königin Marias Füßen,
sie jedoch raffte ihre Röcke, als könne sie meine Berührung nicht
ertragen, und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Ich blieb mit
dem Rauchgestank in meiner Nase auf dem Boden liegen und weinte vor
Entsetzen.
Winter
1555
D as Weihnachtsfest an Marias Hof wurde
pompös und feierlich, jedoch freudlos begangen, genau wie Elisabeth
prophezeit hatte. Jeder erinnerte sich noch an das letzte Fest, als
Königin Maria mit gelockertem Mieder umhergegangen war und ihren Bauch
stolz vor sich hergetragen hatte. Damals hatten wir hoffnungsvoll auf
einen kleinen Prinzen gewartet. Dieses Jahr wussten wir, dass es kein
Kind geben würde, denn der König hatte das Bett der Königin verlassen,
und ihre rot verweinten Augen und ihr magerer Leib bezeugten die
Tatsache, dass sie unfruchtbar und einsam war. Den ganzen Herbst über
waren Gerüchte von Verschwörungen und Gegenverschwörungen durch den Hof
geschwirrt, es hieß, dass die Engländer es nicht ertragen könnten, von
einem spanischen König regiert zu werden. Philipps Vater stand kurz
davor, das Imperium seinem Sohn zu übergeben, und dann würde der größte
Teil der Christenheit unter Phillips Herrschaft stehen. Das Volk
murrte, dass England für Philipp nur eine kleine, unbedeutende Insel
sei, die er durch die Hand der unfruchtbaren Königin regiere, die ihn
immer noch anbetete, obgleich doch jeder wusste, dass er sich eine
Geliebte genommen hatte und niemals mehr zu ihr zurückkehren würde.
Die Königin musste zumindest die Hälfte dieses Klatsches
mitbekommen haben, denn der Kronrat berichtete ihr getreulich von den
Drohungen, die gegen ihren Ehemann, gegen sie selbst und gegen den
Thron ausgestoßen wurden. Sie wurde sehr still und verschlossen, zog
sich in sich selbst zurück. Sie hielt an ihrer Vision eines
friedlichen, tiefgläubigen Landes fest, in dem die Menschen sicher im
Schoße der Kirche ihrer Vorfahren lebten, und sie versuchte zu glauben,
dass sie diese Vision Wirklichkeit werden lassen könnte, wenn sie sich
nicht von ihrer Pflicht abbringen ließ, so hart diese sie mitunter
ankam. Ihr Rat erließ ein neues Gesetz: Ein Ketzer, der erst auf dem
Scheiterhaufen bereute, habe seine Gesinnung zu spät
geändert – er würde dennoch brennen müssen. Und jeder, der das
Schicksal des besagten Ketzers bedauerte, sollte ebenfalls den
Flammentod erleiden.
Frühling
1556
D er kalte, nasse Winter ging in einen noch
nasseren Frühling über. Die Königin wartete auf Briefe, die immer
seltener eintrafen und ihr wenig Freude brachten.
Eines Abends Anfang Mai kündigte sie an, die ganze Nacht mit
Beten verbringen zu wollen, und schickte mich und sämtliche Hofdamen
fort. Ich war froh, nicht einen weiteren Abend in endlosem Schweigen
verbringen zu müssen, wenn wir am Kamin saßen und nähten und uns
bemühten, die Tränen der Königin auf dem Leinenhemd zu übersehen, das
sie für den König bestickte.
Forschen Schrittes lief ich auf die Kammer zu, die ich mit
drei anderen Mägden teilte. Da bemerkte ich eine schattenhafte Gestalt
in einer Tür der Galerie. Ich machte keine Anstalten, mich nach ihrem
Begehr zu erkundigen. Folglich
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