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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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musste die Person ihren Platz an der Tür
verlassen und sich mir anschließen.
    »Du musst mit mir kommen, Hannah Verde«, sagte der Mann.
    Auch auf die Nennung meines vollen Namens reagierte ich nicht.
»Ich gehorche nur der Königin.«
    Der Mann hielt mir ein Schriftstück vor, das er langsam wie
eine Flagge entrollte. Fast gegen meinen Willen hielt ich an. Ich
erspähte verschiedene Siegel am Ende der Seite und meinen Namen an
ihrem Kopf: Hannah Verde alias Hannah Green alias Hannah die Hofnärrin.
    »Was ist das?«, fragte ich, obwohl ich es genau wusste.
    »Eine Vollmacht«, erwiderte er.
    »Eine Vollmacht wofür?«, fragte ich, obwohl ich es genau
wusste.
    »Für deine Verhaftung wegen Ketzerei«, erwiderte er.
    »Ketzerei?«, stieß ich hervor, als hätte ich dieses Wort nie
zuvor gehört, als hätte ich nicht auf diesen Moment gewartet, seit sie
meine Mutter geholt hatten.
    »Ja, Mädchen, Ketzerei«, bekräftigte er.
    »Ich werde es der Königin sagen.« Ich schickte mich zu einer
Kehrtwendung an, wollte den Weg zu ihren Gemächern einschlagen.
    »Du kommst mit mir«, bestimmte er, fasste gleichzeitig meinen
Arm und nahm mich um die Taille. Aus diesem festen Griff gab es kein
Entkommen, doch ich war ohnehin vor Angst wie gelähmt.
    »Die Königin wird sich für mich einsetzen!«, wimmerte ich mit
einem dünnen Stimmchen wie ein kleines Kind.
    »Dies ist eine königliche Vollmacht«, sagte er schlicht. »Du
wirst verhaftet und zum Verhör geführt, und die Königin hat uns dazu
ermächtigt.«
    Sie brachten mich in die Stadt in die
St.-Paul's-Kathedrale und steckten mich für die Nacht in eine Zelle,
zusammen mit einer Frau, die auf dem Streckbrett so schlimm gefoltert
worden war, dass sie in ihrer Kerkerecke lag wie eine Lumpenpuppe: Arme
und Beine waren gebrochen, das Rückgrat ausgerenkt, die Füße wiesen
nach außen wie die Zeiger einer Uhr auf Viertel vor drei. Ihren
blutigen Lippen entrang sich ein Stöhnen, das wie ein Seufzen des
Windes klang. Die ganze Nacht lang hauchte sie ihre Schmerzen wie eine
leise Brise im Frühling. Der anderen Frau in meiner Zelle hatte man die
Fingernägel ausgerissen. Sie barg ihre verletzten Hände im Schoß und
blickte nicht einmal auf, als der Riegel aufgeschoben und ich in die
Zelle gestoßen wurde. Ihre Lippen waren auf eine seltsame Art
geschürzt – und plötzlich begriff ich, dass man ihr auch die
Zunge abgeschnitten hatte.
    Wie eine Bettlerin hockte ich auf der Schwelle, den Rücken der
Tür zugekehrt. Die beiden Frauen nahmen mich gar nicht wahr, weder die
Stöhnende mit den gebrochenen Knochen noch die Stumme ohne Fingernägel.
Und ich war vor Furcht so gelähmt, dass ich kein Wort zu ihnen sagte.
Ich beobachtete, wie der Mondschein über den Boden wanderte, zuerst zu
der Frau, deren Leib verrenkt war wie der einer Lumpenpuppe, dann zu
den Fingern der anderen Frau, die ihre Hände im Schoß verschränkte und
die Lippen schürzte. In dem silbernen Licht sahen ihren Fingerspitzen
so dunkel aus wie die Spitzen von Schreibfedern, die man in Tinte
getaucht hat.
    Am Ende ging die Nacht doch vorüber, obwohl ich geglaubt
hatte, sie würde ewig dauern.
    Am Morgen wurde die Tür aufgestoßen, doch keine der Frauen hob
den Kopf. Die auf dem Streckbrett Gemarterte lag so steif da, als ob
sie tot wäre, und vielleicht war sie es auch. »Hannah Verde«, sagte
eine Stimme.
    Gehorsam versuchte ich aufzustehen, doch meine Beine gaben
unter mir nach. Mir würde man nicht die Fingernägel ausreißen können,
ohne dass ich um Gnade bettelte und alles verriet, was ich wusste.
Sobald sie mich aufs Streckbrett banden, würde ich Lord Robert,
Elisabeth oder John Dee verraten sowie jeden weiteren Namen, den ich
jemals gehört hatte. Wenn ich schon jetzt nicht mehr auf meinen eigenen
Füßen stehen konnte, wie sollte ich ihnen da widerstehen?
    Der Wärter packte mich unter den Armen und schleifte mich
hinaus. Er stank nach Bier und nach Rauch und verbranntem Fett, ein
Geruch, der an seinem wollenen Umhang haftete. Mir wurde klar, dass
dies der Gestank der Scheiterhaufen sein musste, der Rauchgeruch von
Reisig und Fackeln und der Geruch des Körperfetts, das aus der Haut
sterbender Menschen austrat. Bei diesem Gedanken überfiel mich
Übelkeit, und ich begann zu würgen.
    »He, reiß dich zusammen!«, herrschte mich der Wärter gereizt
an und ruckte an meinem Körper, sodass mein Kopf gegen die Mauer
prallte.
    Er schleifte mich ein paar Stufen hoch, dann quer über

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