Die Hofnärrin
sie
kannte, hatte sie sich niemals in Gefahr gebracht – es waren
immer nur ihre Freunde, die im Tower endeten.
Die kleine Gesellschaft war zum Abritt bereit. Elisabeth
schaute mit lächelndem, hellem Gesicht unter dem schwarzen Samthut zu
mir herab. »Du siehst, du solltest lieber bald zu mir kommen«, mahnte
sie ein letztes Mal.
»Wenn ich kann, komme ich. Gott schütze Euch, Prinzessin.«
Sie beugte sich herunter und tätschelte meine Hand zum
Abschied. »Ich warte«, sagte sie mit funkelnden Augen. »Ich werde
überleben.«
König Philipp schrieb häufig, doch seine
Briefe waren keine Antwort auf Marias zärtliche Versprechen von Liebe
und ihre Forderungen, dass er zu ihr zurückkehren solle. Er sprach nur
sachlich von Staatsgeschäften und erteilte seiner Frau Ratschläge, wie
sie ihr Reich zu regieren habe. Er reagierte nicht auf ihre Bitten,
bald heimzukommen, er teilte ihr nicht einmal mit, wann das sein werde,
noch erlaubte er ihr, zu ihm zu kommen. Seine ersten Briefe waren noch
herzlich gewesen, und er bat die Königin, sich doch Zerstreuung zu
suchen. Doch als er schließlich täglich Briefe erhielt, in denen sie um
seine Rückkehr bettelte und klagte, dass sie krank sei vor Unglück und
vor Einsamkeit, wurde er mehr und mehr geschäftsmäßig. Seine Briefe
enthielten nur noch Instruktionen, wie der Kronrat in dieser oder jener
Angelegenheit zu entscheiden habe, und die Königin war gezwungen, mit
seinen Briefen zu den Ratsversammlungen zu gehen und ihren Räten die
Befehle eines Mannes vorzulegen, der lediglich nominell König
war – durchsetzen musste sie die Befehle allerdings selbst.
Sie war wenig willkommen, wenn sie mit rot verweinten Augen in die
Kammer kam, der Kronrat bezweifelte offen, dass ein spanischer Prinz,
der seine eigenen Kriege auszufechten hatte, die Interessen Englands
wahren würde. Kardinal Pole war Marias einziger Gefährte und Freund,
doch er war so lange im Exil gewesen und misstraute so vielen
Engländern, dass Maria sich allmählich selbst wie eine Exilierte unter
Feinden vorkam.
Im Oktober suchte ich vor dem Nachtmahl nach Jane Dormer, und
da ich sie nirgends fand, steckte ich schließlich meinen Kopf in die
Tür der königlichen Kapelle. Zu meiner Überraschung erblickte ich nicht
Jane, sondern Will Somers, der auf den Knien vor der Statue der
Jungfrau Maria lag und zu ihren Füßen eine Kerze aufstellte. Sein Kopf
war gebeugt, und in einer Hand hielt er die spitze Narrenkappe in
festem Griff, damit die kleine Schelle nicht läutete.
Ich hätte in Will niemals einen Gläubigen vermutet. Bemüht,
ihn nicht zu stören, verharrte ich auf der Schwelle. Will schlug das
Kreuzzeichen, stand auf und kam den Mittelgang entlang, ein wenig
gebeugt und älter aussehend als seine fünfunddreißig Jahre.
»Will?«, fragte ich und ging ihm ein Stück entgegen.
»Kleines.« Sofort wurde sein Gesicht durch ein Lächeln
erhellt, doch seine Augen blieben düster.
»Steckst du in Schwierigkeiten?«
»Ach, ich habe ja nicht für mich gebetet«, erwiderte er.
»Für wen dann?«
Will schaute sich argwöhnisch in der leeren Kapelle um und zog
mich auf eine Bank. »Hast du wohl irgendwelchen Einfluss auf Ihre
Majestät, was meinst du, Hannah?«
Ich überlegte einen Augenblick, dann schüttelte ich ehrlich
und bedauernd den Kopf. »Sie hört nur noch auf Kardinal Pole und den
König«, sagte ich. »Und vor allem auf ihr Gewissen.«
»Und wenn du aufgrund deiner Gabe zu ihr sprechen würdest, ob
sie dir dann zuhören würde?«
»Vielleicht«, gab ich vorsichtig zu. »Aber ich kann meine Gabe
doch nicht herbeizwingen, Will, das weißt du.«
»Ich habe gedacht, du könntest so tun, als ob«, meinte er
unverfroren.
Ich erschrak. »Es ist eine heilige Gabe! Es wäre Blasphemie,
so zu tun als ob!«
»Kind, in diesem Monat sind drei Kirchenmänner unter Anklage
der Ketzerei gestellt worden, und falls ich mich nicht irre, werden sie
verbrannt werden: der arme Erzbischof Cranmer, Bischof Latimer und
Bischof Ridley.«
Ich wartete.
»Die Königin kann keine braven Männer verbrennen lassen, die
ordinierte Bischöfe der Kirche ihres Vaters sind«, erklärte Will
rundweg. »Das darf nicht geschehen.«
Er sah mich eindringlich an, legte mir den Arm um die Schulter
und drückte mich. »Sage ihr, dass du die Gabe des zweiten Gesichts
besitzt und dass diese Männer ins Exil geschickt werden sollen«,
drängte er. »Hannah, wenn diese Männer sterben, macht sich die Königin
jeden zum Feind,
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