Die Hofnärrin
deine
Ehe nicht verleugnen.«
»Vater, er hat sie doch jeden Tag verleugnet.«
»Tochter, er ist dein Mann.«
Ich seufzte. »Nun gut. Aber wir können doch gehen, oder nicht?
Und gleich?«
Er legte mir die Hand an die Wange. »Kind, ich glaubte, du
hättest einen guten Mann, der dich liebte, der dich glücklich machen
würde.«
Ich biss die Zähne zusammen, um nicht in Tränen auszubrechen.
Tränen hätten ihn auf den Gedanken bringen können, dass ich weich
wurde, dass ich immer noch eine junge Frau war, die der Liebe
nachtrauerte. »Nein«, sagte ich nur.
Es war nicht einfach, die Druckerpresse ein
weiteres Mal zu zerlegen und vom Hof zu schaffen. Ich hatte lediglich
meine neuen Kleider und Unterhemden mitzunehmen, mein Vater besaß
ebenfalls nur eine kleine Kiste voller Kleider, aber wir mussten seine
ganzen Bücher und Manuskripte und die komplette Ausrüstung einer
Druckerei mitnehmen: sauberes Papier, Tintenfässer, Körbe mit
Buchbinderfaden. Es dauerte eine Woche, bis die Träger alles vom Haus
der Carpenters in unser neues Ladenlokal geschafft hatten, und an jedem
Abend in dieser Woche mussten mein Vater und ich ein schweigendes Mahl
aushalten, bei dem Daniels Schwestern mich voller Entsetzen musterten
und Daniels Mutter die Teller mit solcher Verachtung auf den Tisch
knallte, als hätte sie streunende Hunde zu verköstigen.
Daniel hielt sich fern, übernachtete im Haus seines Lehrers
und kam nur heim, um sich umzuziehen. Wenn er zu erwarten war, sorgte
ich dafür, im Hinterhof bei meinem Vater beschäftigt zu sein oder
Bücher unter der Theke zusammenzupacken. Daniel versuchte nicht, mich
umzustimmen oder mich anzuflehen, und eigensinnig, wie ich war, nahm
ich dies als Rechtfertigung, dass es recht gewesen war, ihn zu
verlassen. Wenn er mich liebte, dann hätte er doch gewiss zu mir
kommen, mich bitten und anflehen müssen? Hartnäckig vergaß ich, dass
auch er Trotz und Stolz besaß, und besonders fern hielt ich meine
Gedanken von den Träumen, die wir gehabt hatten: Dass wir freie
Menschen werden wollten, die nicht mehr an die Regeln der Juden, der
Christen oder der Welt gebunden waren.
Am Südtor hatte ich ein kleines Geschäft in exzellenter Lage
gefunden, denn es wurde von vielen Reisenden passiert, die durch den
englischen Teil Frankreichs zogen und sich weiter nach Frankreich
hineinwagten. Hier hatten sie zum letzten Mal Gelegenheit, Bücher in
ihrer Muttersprache zu erstehen; und wenn sie Karten oder Ratschläge
für Reisen in Frankreich oder den spanischen Niederlanden benötigten,
konnten wir mit einer reichhaltigen Auswahl von Reiseberichten
aufwarten, die zwar meistens äußerst fantasievoll waren, für die
Leichtgläubigen jedoch gutes Lesematerial boten. Mein Vater hatte sich
in der Stadt bereits einen Ruf erworben, und bald schon fanden auch die
alten Kunden den Weg zu unserem neuen Geschäft. An den meisten Tagen
pflegte er auf einem der Schemel vor dem Laden in der Sonne zu sitzen,
während ich drinnen schuftete, mich über die Presse beugte und die
Drucktypen – nun wenigstens konnte sich keiner mehr über
Tintenflecken auf meiner Schürze beschweren.
Mein Vater war sehr müde, denn der Umzug nach Calais und die
Enttäuschung über meine gescheiterte Ehe hatten ihn erschöpft. Ich war
froh, dass er sitzen und sich ausruhen konnte, während ich für zwei
schuftete. Ich eignete mir wieder die Kunst des Rückwärtslesens an, ich
erlernte wieder, wie der Druckstock zu schwenken war, wie das saubere
Blatt eingelegt werden musste, und wie der Bengel sanft zu schwenken
war, damit die Type eben nur das Papier berührte und eine feine
Tintenspur hinterließ.
Mein Vater machte sich furchtbare Sorgen um mich, um meine
unglückliche Ehe und um meine Zukunft, doch als er erkannte, dass ich
seine gesamten Fertigkeiten geerbt hatte sowie seine Liebe zu Büchern,
begann er zu glauben, dass, selbst wenn er morgen sterben sollte, ich
mich mit dem Geschäft über Wasser halten könnte. »Aber wir müssen
sparen, querida «, mahnte er
immer wieder. »Wir müssen Vorsorge für dich treffen.«
Herbst
1556
I m ersten Monat in unserem neuen Laden
freute ich mich, dem Haus der Carpenters entronnen zu sein. Ein paar
Mal sah ich Daniels Mutter oder zwei seiner Schwestern auf dem Markt
oder am Fischerkai, und seine Mutter blickte absichtlich an mir vorbei,
während seine Schwestern mit den Fingern auf mich zeigten und einander
Rippenstöße versetzten, als wäre ich eine Aussätzige und
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