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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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hervor. »Ich habe eine Flucht durch die halbe Christenheit
überlebt«, sagte ich leichthin. »Da sollte ich doch wohl zwei Stunden
in Calais überstehen können!«
    »Du bist jetzt eine junge Dame«, fiel nun auch mein Vater ein.
»Kein Kind mehr, das man für einen Knaben halten kann. Du solltest
abends nicht mehr allein unterwegs sein.«
    »Sie sollte überhaupt nicht allein ausgehen, außer auf den
Markt oder in die Kirche«, ließ Daniels Mutter mit Nachdruck von ihrem
Hochsitz auf der Treppe verlauten.
    »Pst«, machte Daniel sacht. »Hannah ist ja jetzt hier, das ist
das Wichtigste. Und sie hat gewiss Hunger. Was haben wir noch da,
Mutter?«
    »Alles aufgegessen«, erwiderte sie wenig hilfreich. »Du selbst
hast den letzten Teller Suppe gegessen, Daniel.«
    »Ich wusste doch nicht, dass so wenig da war!«, verteidigte er
sich. »Warum haben wir nichts für Hannah übrig gelassen?«
    »Nun, wer sollte denn ahnen, wann sie nach Hause kommt?«,
fragte seine Mutter scheinheilig. »Vielleicht hätte sie ja auch
auswärts speisen mögen.«
    »Komm«, sagte Daniel ungeduldig und nahm meine Hand.
    »Wohin?«, fragte ich und glitt vom Schemel.
    »Ich gehe mit dir ins Wirtshaus, damit du etwas zu essen
bekommst.«
    »Ich kann wohl noch etwas Brot und ein Stück Fleisch
auftreiben«, sagte seine Mutter sofort, die uns ungern gehen lassen
wollte.
    »Nein«, widersprach Daniel sogleich. »Sie muss etwas
Anständiges, etwas Warmes zu essen bekommen, und ich nehme noch einen
Krug Bier. Bleibt nicht unsertwegen auf, Mutter, und Ihr auch nicht,
Sir.« Er wickelte mich in sein Cape und schob mich aus der Tür, bevor
seine Mutter sich uns anschließen konnte, und wir waren auf der Straße,
bevor seine Schwestern bemerken konnten, dass ich für einen Ausgang
nicht passend angezogen war.
    Schweigend schritten wir zu dem Wirtshaus am Ende der Straße.
Vorn war ein Schankraum, hinten jedoch gab es ein ruhiges Gastzimmer
für Reisende. Daniel bestellte Suppe und Brot, eine Fleischplatte und
zwei Krüge Dünnbier, und wir nahmen auf einer der hohen Lehnbänke
Platz. Zum ersten Mal seit unserer Ankunft in Calais hatte ich das
Gefühl, dass wir länger als einen Augenblick allein waren und ungestört
miteinander reden konnten.
    »Hannah, es tut mir so leid«, sagte Daniel, sobald das
Serviermädchen das Bier gebracht hatte. »Es tut mir sehr, sehr leid,
was ich getan habe.«
    »Weiß sie, dass du verheiratet bist?«
    »Ja. Als wir uns kennenlernten, erfuhr sie bereits, dass ich
verlobt bin. Ich sagte ihr, dass ich nach England fahren würde, um dich
zu holen, und dass wir bei unserer Rückkehr heiraten würden.«
    »Und es bekümmert sie nicht?«
    »Nicht mehr«, erwiderte er. »Sie hat sich daran gewöhnt.«
    Ich schwieg. Ich fand es höchst unwahrscheinlich, dass eine
Frau, die sich in einen Mann verliebt und sein Kind zur Welt gebracht
hatte, sich innerhalb eines Jahres daran gewöhnt haben sollte, dass er
eine andere zur Frau genommen hatte.
    »Wolltest du sie nicht heiraten, als du gemerkt hast, dass sie
dein Kind trägt?«
    Daniel zögerte mit der Antwort. Der Wirt selbst servierte uns
Suppe, Fleisch und Brot und hantierte so umständlich mit Krügen und
Schüsseln, dass wir eine Weile schweigen mussten. Dann endlich ging er,
und ich versuchte einen Löffel Suppe und einen Bissen Brot. Es war kaum
herunterzubringen, doch ich wollte nicht so wirken, als hätte ich vor
Liebeskummer den Appetit verloren.
    »Sie gehört nicht zum Auserwählten Volk«, meinte Daniel
schlicht. »Und im Übrigen wollte ich dich heiraten. Als ich erfuhr,
dass sie schwanger war, schämte ich mich furchtbar für das, was ich
getan hatte, doch sie wusste, dass ich sie nicht liebte und dass ich
dir versprochen war. Sie erwartete auch keine Heirat. Also habe ich ihr
eine bestimmte Summe für ihre Mitgift gegeben und zahle jeden Monat für
den Unterhalt des Jungen.«
    »Du wolltest zwar mich heiraten, das hat dich aber nicht von
anderen Frauen abgehalten«, sagte ich bitter.
    »Ja«, gab er einfach zu. Er schrak nicht vor der Wahrheit
zurück, selbst wenn sie mit Bitterkeit von einer zornigen Frau
ausgesprochen wurde. »Ich wollte dich heiraten, habe mich aber nicht
von einer anderen Frau ferngehalten. Doch wie steht es mit dir? Hast du
ein absolut reines Gewissen, Hannah?«
    Ich überging dies, obwohl es eine gerechtfertigte Anklage war.
»Wie heißt das Kind?«
    Er holte tief Luft. »Daniel«, brachte er gepresst hervor. Mit
meinem Zusammenzucken hatte er

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